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Es war im Januar 1955, als der mittelständische deutsche Reiseveranstalter Dr. Tigges eine Revolution sondergleichen verkündete. Ab April werde man Mallorca von Düsseldorf direkt mit dem Flugzeug erreichen können, und das in lediglich fünf Stunden, hieß es in der unternehmenseigenen Monats-Postille. Die MM-Schwesterzeitung „Ultima Hora” stieß unlängst auf den historisch wertvollen Bericht und zitierte aus ihm.

Fliegen war damals anders als heute sehr teuer und nur für ganz wenige privilegierte Menschen erschwinglich. Normal war es für die ohnehin noch wenigen mallorcaverliebten Reisegruppen, sich eine Ewigkeit lang von Deutschland mit der Bahn über Paris nach Barcelona durchzuschlagen, um dort dann eine der damals noch viel kleineren und wackeligeren Fähren zu besteigen.

Sich das Ganze zu ersparen und nur noch ein paar Stunden in Vickers-Viking-Propellermaschinen auf die damals in einem ewigen Dornröschenschlaf befindliche Insel fliegen zu können, muss sich in etwa so unwirklich angefühlt haben, als würde man sich heute plötzlich irgendwo hinbeamen können. Manchmal kommen neue Zeiten halt von hier auf jetzt.

Eher zufällig war man bei Dr. Tigges in Wuppertal im Jahr 1952 auf den Geschmack gekommen: Als für eine der Reisegruppen einmal eine Mallorca-Fähre wegen eines Motorschadens ausgefallen war, wurde kurzerhand eine „Flugmaschine”, wie es in dem Bericht heißt, gechartert. Und so kamen die Urlauber ganz anders und vor allem viel schneller von Barcelona ans Ziel aller Sehnsüchte.

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Dass der Unternehmensgründer Hubert Tigges (1895-1971), neben Josef Neckermann einer der Urväter des deutschen Pauschaltourismus, immer intensiver an das neue Verkehrsmittel glaubte, verwundert denn auch nicht. Man solle nicht zögern, „diese Entwicklung mitzumachen”, verlautbarte er in seinem Mitteilungsblatt, zumal die Engländer schon seit längerem Direktflüge „von April bis Herbst” von London zur Insel anbieten würden. Und so führte Tigges seine zumeist völlig flugunerfahrenen Kunden anschaulich an die Freuden des neuartigen Vorankommens heran. Neben der von „Ultima Hora” veröffentlichten Ankündigung der Flüge wurde der zuvor in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung” erschienene Erfahrungsbericht eines gewissen Hermann Ruelius platziert, der noch nie zuvor ein Flugzeug bestiegen hatte. Er schildert anschaulich sein Muffensausen vor dem Abheben, die „freudige Erregung” beim Anlaufen der Motoren und die anschließenden Hochgefühle in der Luft. Besonders intensiv ergötzt sich der Autor an der Tatsache, dass die Sitzlehnen nach hinten verstellt werden konnten. Auch die Beschäftigungen der Passagiere in der engen Innenkabine werden detailliert dargestellt: Es wurde – heute etwas völlig Befremdliches – nach Herzenslust geraucht, und die Männer spielten Skat.

In dem Text vergleicht der Autor seinen ersten Flug mit einer Eisenbahnfahrt von Frankfurt/Main nach Wiesbaden in den 30ern, die er erlebt hatte: Ein Bauer fand in einem Bahnhof die Tür nicht, weil er noch niemals in einem Zug gefahren war.

In den Jahren nach der eher unprätentiös kommunizierten Ankündigung der ersten Mallorca-Flüge wurden Reisen in der Luft bekanntlich recht schnell immer selbstverständlicher. Jeder weiß, dass in den 60ern Düsenflugzeuge die klobigen und langsamen Propellermaschinen ablösten. Hubert Tigges ging selbstredend mit der Zeit.

Ende 1967 wurden die Reisen des pfiffigen Urlaubs-Organisators in die Touristik Union International (Tui) eingegliedert, zu dem sich die Unternehmen Touropa, Scharnow und Hummel zuvor zusammengeschlossen hatten. Die Marke Dr. Tigges wurde von der Tui 1990 vom Markt genommen und durch Tui Studienreise ersetzt, aber 1997 von dem Studienreise-Unternehmen Gebeco wiederbelebt. Und so ist der Name des rührigen Reisespezialisten noch heute vielen ein Begriff.

(aus MM 33/2020)