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Einen Moment lang halten alle die Luft an. Ein junger Mann in Badehose ist ein paar Meter die Felsen hochgeklettert und klammert sich dort an einen schmalen Vorsprung. Vorsichtig dreht er sich um. Ein wenig eingeschüchtert wirkt er schon, wie er da so kauert, schnappt sich dann aber doch das gut und gerne 15 Meter lange Seil. Mit beiden Händen greift er so fest er kann, atmet noch einmal tief durch und stürzt sich dann in die Tiefe. Immer schneller schwingt er über die Wellen hinweg, erst hinab, dann auf der anderen Seite wieder hinauf. Kurz bevor er den höchsten Punkt erreicht hat, lockert er den Griff, lässt das Seil fahren und fällt: Mit großem Klatschen trifft er auf die Wasseroberfläche. Seine Kumpel johlen.

Szenen wie diese spielen sich im Sommer tagtäglich an der Küste von Santanyí ab, genauer gesagt am Felsentor Es Pontàs („die große Brücke”). Witterung und Wellen haben in Jahrmillionen dieses kuriose Naturdenkmal geschaffen, das einen Steinwurf von der felsigen Steilklippe entfernt 20 Meter hoch aus dem Meer ragt. Wegen des langen Seils, das dort jemand befestigt hat, ist der steinerne Bogen ein beliebtes Ausflugsziel für Leute, die etwas Nervenkitzel suchen. Den fand hier im Jahr 2007 zweifellos auch der US-amerikanische Kletterprofi Chris Sharma. Er war damals der Erste, der die besonders anspruchsvolle Kletterroute schaffte, die bis auf das Felsentor führt und als eine der schwersten ihrer Art weltweit gilt. Es Pontàs ist ein in der Kletterszene gefragter Ort, weil er gut für die Disziplin Deep-Water-Soloing (auch Psicobloc genannt) geeignet ist. Dabei bewegt man sich ungesichert am Fels – wer abstürzt, fällt ins Wasser.

Einen ganzen Monat und 50 Versuche brauchte Sharma im Spätsommer 2007, bis er endlich ganz oben stand. Das entsprechende Youtube-Video ist bereits mehr als 6,2 Millionen Mal aufgerufen worden. Die wohl größte Schwierigkeit der Route gilt es auf zehn Metern Höhe zu überwinden: Hier muss sich der Kletterer mit aller Kraft von der Felswand abstoßen und in die Höhe katapultieren, um dann mit einer Hand in eine mehr als zwei Meter entfernte Spalte zu greifen. Kein Wunder, dass die Route seitdem erst von zwei anderen Klettern bezwungen wurde. Es gibt allerdings auch einfachere Wege auf den Felsenbogen, wenngleich diese ebenfalls nicht ungefährlich sind.

Wer nicht zu den Wagemutigen gehört, kann sich das Spektakel auch ganz bequem aus sicherer Entfernung ansehen. Auf der Klippe gleich gegenüber befindet sich eine Aussichtsplattform. Dorthin gelangt man mit dem Auto von der Cala Santanyí aus über den Carrer de sa Cova des Vell Marí in die Sackgasse Carrer de sa Cova d’es Coloms, benannt nach zwei der Höhlen, die es hier in der Gegend ebenfalls gibt und die, wie auch Es Pontàs, belegen, wie formbar der Kalksandstein ist, aus dem Mallorca zum Großteil besteht. Am Ende der Straße beginnt ein nicht zu übersehender Trampelpfad, der schon nach wenigen Metern an einer enormen Stele vorüberführt.

Dabei handelt es sich um ein Werk des im Jahr 2008 verstorbenen deutschen Bildhauers Rolf Schaffner, der viele Jahre seines Lebens in Santanyí verbrachte und dort mehrere Kunstwerke im öffentlichen Raum hinterlassen hat. Die Stele direkt an der Küste ist Teil eines seiner wohl wichtigsten Werke, das den Titel Equilibrio („Gleichgewicht”) trägt. Sie bildet den südlichen Punkt eines Kreuzes, das sich über ganz Europa erstreckt. An vier weiteren Orten befinden sich ähnliche aus Naturstein gefertigte Säulen – bei Köln, Trondheim, Wolgograd und Cork. Schaffner wollte mit seiner Europa-Skulptur zu friedlichem Zusammenleben und zum respektvollen Umgang mit der Natur aufrufen. „Meine Equilibrios sollen Weckruf und Mahnung sein und zum Nachdenken veranlassen”, wird der Künstler auf der Schautafel gleich neben der Stele zitiert. Am Kreisverkehr der Landstraße von Santanyí nach Cala Llombards befindet sich Schaffners Werk Rey y Reina – zwei vier und sechs Meter hohe Säulen aus Kalksandsteinblöcken. Ebenfalls dort, nur ein paar Meter entfernt zwischen den Büschen, befindet sich die Skulpturengruppe Caballos, die aus sechs steinernen Pferden besteht.

Folgt man der Landstraße weiter, gelangt man schließlich in die Küstensiedlung Cala Llombards. Wie auch in der benachbarten Cala Santanyí befindet sich hier am Ende einer geschützt gelegenen Bucht ein breiter Sandstrand, das Wasser ist meist ziemlich sauber und hohe Wellen gibt es kaum einmal. Beide Buchten sind demnach gut für Familien mit Kindern geeignet. Wer es gerne etwas einsamer und abenteuerlicher hat, für den ist vielleicht die Caló des Macs das Richtige. Die kleine, felsige Bucht liegt unweit der Cala Llombards, ist mit dem Auto aber besser über Cala Santanyí erreichbar. Von der Straße Diseminado Polígono 3, in der man meist auch problemlos parken kann, zweigen mehrere enge, steinige und etwas steile Trampelpfade ab, über die man zwischen den Häusern hindurch ans Wasser gelangt. Die zerklüftete Küste eignet sich gut zum Schnorcheln und wer mag, kann von hier aus auch zum Felsentor Es Pontàs hinüberschwimmen.