Der "Rote Blitz" ist eine beliebte Touristenattraktion und ein Wahrzeichen von Sóller. | Tren de Sóller

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Durchquert man den etwa drei Kilometer langen Tunnel zwischen Palma und Sóller, scheint es beinahe so, als tauche man in eine andere Welt ein: In der Ferne erhebt sich die Bergkette des Tramuntana-Gebirges, nach einigen Kurven erblickt man zwischen Ziegeldächern die Kathedrale von Sóller. Umrahmt wird das Ortsbild von unzähligen Olivenhainen und Orangenplantagen: „Benvinguts a Sóller” (Herzlich willkommen in Sóller) steht in katalanischer Sprache auf einem bunten Pappschild geschrieben.

Rund um Sóller gibt es zahlreiche Wanderstrecken, die es zu entdecken lohnt.

Die nordwestliche Gegend ist auf der Insel auch als Orangental oder „goldenes Tal” bekannt. Und das kommt nicht von ungefähr: Die saftigen Zitrusfrüchte sind ein Exportschlager und gelten seit Jahrhunderten als Wahrzeichen. Heutzutage ist das Kleinod ganzjährlich eine beliebte Destination für Urlauber aus aller Welt. „Obwohl der Ort mittlerweile ausschließlich vom Tourismus lebt, hatte er damals eine wichtige historische und wirtschaftliche Bedeutung für Mallorca”, erklärt Maria Sureda. Die erfahrene Ortskundige bietet in Zusammenarbeit mit der Fremdenführerin Ingrid Flohr eine zweistündige Stadtführung durch den Tramuntana-Ort an. Rund 20 deutsche Urlauber und Residenten haben das Angebot an diesem sonnigen Januarmorgen in Anspruch genommen, um mehr über Sóller und seine Geschichte zu erfahren.

Auch in den verwinkelsten Gassen stößt man auf Zitrusfrüchte und Orangenbäume.

Treffpunkt der zweistündigen Stadtführung ist der Botanische Garten. Die erste Station ist der Convento Sagrats Cors, die Kirche der Heiligen Herzen. Bis zum Jahr 1835 gehörte das Kloster dem Franziskanerorden. Auf den folgenden Metern Fußweg führt Maria Sureda die Gruppe in die Geschichte des Dorfes ein: „Da Sóller aufgrund seiner Lage hinter den Bergen viele Jahrhunderte vom Rest der Insel wie abgeschnitten war, sagt man den ‚Sollerics’ oft nach, sehr eigen zu sein”, erläutert Sureda und lacht.

Aufgrund der abgeschiedenen Lage war es für die Dorfbewohner einfacher, per Schiff nach Frankreich zu gelangen, als zu Fuß nach Palma. Darum bestanden enge Handelsbeziehung mit dem Nachbarland jenseits des Meeres. Dorthin wurden vor allem Zitrusfrüchte exportiert. Im Jahr 1865 erlebte Sóller zudem eine Auswanderungswelle nach Südfrankreich und in die Karibik. Grund dafür war eine Zitrusplage, die zahlreichen Familien den gesicherten Job kostete. Jahrzehnte später kehrten viele Sollerics jedoch, zu Reichtum gekommen, in die Heimat zurück und ließen sich Häuser errichten. Ihre Vorlieben aus Amerika und Frankreich hatten Einfluss etwa auf die Architektur. Ein Beispiel dafür ist das im Kolonialstil errichtete Gebäude Can Cremat, auch bekannt als Palau Roca, benannt nach dem Architekten Francisco Roca. Zudem erinnert die Plaça d’América am Orts-eingang an jene Epoche.

Die leerstehende Textilfabrik erinnert an vergangene Zeiten.

Ab 1912 wurde mit der Eröffnung der Bahnstrecke von Palma nach Sóller und der Straßenbahnstrecke vom Kernort zum Hafen das Tal enger an die übrige Insel angebunden. Der traditionelle Holzzug „Roter Blitz” ist heutzutage eine beliebte Touristenattraktion, auch wenn er derzeit ruht. Aufgrund der jährlichen Gleisarbeiten verkehrt er erst wieder ab Februar. Die Straßenbahn zwischen Sóller und Port de Sóller wird bereits am 24. Januar wieder in Betrieb genommen.

Entlang der Eisenbahnschienen geht die Führung weiter in Richtung Ortskern. Da in Sóller verschiedene Sturzbäche zusammenlaufen, werden die Obst- und Gemüsegärten optimal bewässert. „Schon die Araber erkannten während ihrer Herrschaft den fruchtbaren Boden der Region”, so Maria Sureda.

Wer in Sóller unterwegs ist, sollte unbedingt einen frisch gepressten Orangensaft probieren. Die Sorte Canoneta, die ausschließlich für Fruchtsaft verwendet wird, ist dank des deutschen Unternehmers und Gründer der Delikatessenfirma Fet à Sóller, Franz Kraus, seit einiger Zeit sogar europaweit als Marke aus Sóller registriert und mit einem Patent geschützt. Übrigens: Wer sich die mallorquinischen Zitrusfrüchte kistenweise nach Deutschland schicken lassen will, kann das über den Onlineshop des Unternehmens tun.

Neben Orangen, Zitronen und Apfelsinen spielte auch die Textilindustrie eine wichtige Rolle. Bis zum 18. Jahrhundert war Sóller vor allem für seine Seidenproduktion bekannt. Das leerstehende Gebäude der Textilfabrik Sa Fàbrica Nova ragt auch heute noch in Höhe des Sturzbachs Torrent Major zwischen den Orangenbäumen hervor. Zu Beginn der 1970er Jahre wurde der Betrieb in der Fabrik eingestellt.

Gebäude im Jugendstil findet man im Ortskern von Sóller an jeder Ecke.

Nur wenige Schritte sticht einem ein imposantes Herrenhaus ins Auge. Interessant für alle, die das entsprechende Kleingeld parat haben und sich gerne langfristig in Sóller niederlassen wollen. „Das mit drei Schlafzimmern ausgestattete Stadthaus mit großem Patio steht derzeit für 2,8 Millionen Euro zum Verkauf”, weiß Maria Sureda. Die Führung geht weiter durch die Gassen mit ihren Jugendstilbauten, wie das erst kürzlich renovierte Gebäude Can Bleda aus dem Jahr 1904. Wer den Blick in die Höhe richtet, kann zudem die aufwendig verzierten Dachziegel an den Häusern bestaunen.

Im Ortskern von Sóller angekommen, herrscht insbesondere auf der Einkaufsstraße Carrer de la Luna reges Treiben. Ebenda reihen sich Cafés, Bistros, Geschäfte, Ateliers und Boutiquen aneinander. Dort befindet sich auch das von der Eisenbahn-Stiftung getragene Jugendstil-Museum Can Prunera. „Das Gebäude wurde 2009 nach umfangreichen Restaurierungsarbeiten eröffnet. Es ist beheimatet in einer von 1909 bis 1911 erbauten Villa im spanischen Modernismo-Stil und gehörte einst Textilfabrikanten. Die Bestände des Museums umfassen verschiedene Epochen und Stilrichtungen der Kunstgeschichte. Zu sehen sind auch Werke von Picasso und Joan Miró.

Wer auf Mallorca unterwegs ist, wird immer wieder mit Werken des katalanischen Künstlers Miró in Berührung kommen. Da seine Großeltern aus Sóller stammten, verbrachte Miró als Kind immer wieder Zeit im Orangental. Zeichnungen von ihm sind auch im Holzzug und im Bahnhof zu sehen. Wenige Fußmeter vom Zentrum entfernt, befindet sich die Markthalle mit allerlei lokalen Köstlichkeiten. Unmittelbar daneben steht das Fünf-Sterne-Gran-Hotel. Die ehemalige Schuhfabrik und Gerberei wurde in den 1970er Jahren vom Mallorquiner Andreu Gelabert als Hotel eröffnet, der zuvor einige Jahre in den Vereinigten Staaten gelebt hatte. Mittlerweile ist das Hotel im Besitz einer französischen Familie.

Einer der Höhepunkte der Stadtführung ist die Besichtigung der Kathedrale St. Bartholomäus. Im Inneren der Kirche gibt es wahre Schätze zu entdecken. Neben der Statue der Mutter Gottes, die einst von Piraten beschädigt worden war und nun in einem Plexiglaskasten geschützt aufbewahrt wird, gibt es vergoldete Heiligenfiguren, eine deutsche Orgel und Keramik aus Valencia aus dem 18. Jahrhundert zu bestaunen.

Die Fassade der Pfarrkirche überragt die Plaça de la Constitució mit ihren kleinen Einkaufsgeschäften, den Restaurants und den Cafés. „Das heutige Gotteshaus wurde im barocken und spätgotischen Stil Ende des 17. Jahrhunderts über einer Vorgängerkirche errichtet”, erklärt Maria Sureda. Vom ersten Gebäude zeugen nur noch die Reste einer Festungsmauer mit Schießscharten beim Seitenportal der Kirche, die zum Schutz vor Seeräuber gedient hatte. Noch heute feiert man jeden 11. Mai des Jahres das historische Fest Moros y Cristianos (Mauren und Christen, auch bekannt als Es Firó de Sóller), um der Abwehr der Piraten im Jahre 1561 zu gedenken. Ein Festtermin, den sich Sóller-Liebhaber rot im Kalender anstreichen sollten.