Neue Kabine der "Premium Economy Class" bei Condor. Foto: Condor

TW
3

Ein Thema, das kaum noch jemanden "unberührt" lässt - im wahrsten Sinne des Wortes. Selbst wenn die eigene Körperfülle und -länge sich durchaus innerhalb der Norm bewegt, ist man vor unangenehmen Überraschungen - selbst auf einem Kurzflug von Mallorca nach Alemania - nicht sicher. Barbara S. etwa, eine zierliche ältere Dame, traut sich kaum noch, zu ihrer geliebten Mandelblüte von Düsseldorf aus einzufliegen: "Das letzte Mal saß ich wieder neben einem stark übergewichtigen Herrn. Bei aller Toleranz - der ständige Körperkontakt, der einem dabei aufgezwungen wird, ist einfach unzumutbar."

Passagiere, die zwar schlank, aber über 1,80 Meter groß sind, haben nicht nur genug eigene Probleme mit Knien, Beinen und Rücken. Klappen sie ihre Sitzlehne zurück, um sich wenigstens ein bisschen Entlastung zu verschaffen, müssen sie sich oft noch böse Kommentare von Hintermann oder -frau anhören, die sich jetzt noch "klaustrophobischer" als vorher fühlen. "Ich schaue mich deshalb zumindest immer vorher um und kündige mein Vorhaben an", sagt Thomas M. (1,84 Meter). Vielfliegerin Anna L. (1,69 Meter, 64 Kilo) findet es inzwischen trotzdem rücksichtslos, wenn jemand überhaupt noch seinen Sitz zurückklappt: "Ein grober Verstoß gegen die Höflichkeit."

Immerhin rund 30 Airlines scheint der zunehmende Unmut ihrer Passagiere nicht verborgen geblieben zu sein: Um das Platzproblem zu entschärfen, bieten sie schon seit Jahren eine Art Zwischenstufe zwischen Business- und Economy-Class an: "Premium Economy". Zwei Zielgruppen haben sie dabei primär im Blick: einmal Passagiere, die sich die "Business Class" für private Zwecke nicht leisten können oder wollen, zweitens Geschäftsleute, deren Firmen aufgrund von Sparmaßnahmen preisgünstigere Alternativen suchen.

Selbst die Lufthansa, die lange keine Veranlassung dazu sah, kündigte nun für 2014 eine eigene "Premium Economy" auf Langstreckenflügen an. Buchbar, so ein Sprecher, sei die neue Zwischenklasse ab Mai, voraussichtlich "fliegbar zum Herbst hin".

Airbus und Boeing liefern sich derzeit einen harten Wettbewerb, in dem "Breite und Komfort der Sitze" keine unwesentliche Rolle spielen. So plädiert Airbus, zumindest auf allen Langstrecken, für die Einführung einer Standard-Minimalbreite von 18 Zoll (45,72 cm), Boeing hält wenig von standardisierten Vorgaben, Größe und Ausstattung der Sitze müssten vom individuellen Flug abhängig sein.

Fakt ist, dass die allgemeine Sitzbreite in Zeiten zunehmender Low-Cost-Flieger in den vergangenen Jahren sukzessive abgebaut wurde - obwohl es andererseits immer mehr übergewichtige Passagiere gibt, für die ebenfalls zugeschnittene Lösungen gefunden werden müssen. Laut Internet-Plattform "Seatguru" ist die einst großzügige Sitzbreite von durchschnittlich 34 Zoll (86,3 Zentimeter) in den 1980er Jahren heute auf gerade mal 31 bis 32 Zoll geschrumpft. Dennoch immer noch ein Wert, von dem Billigflieger-Bucher nur träumen können. Um so viele Passagiere wie möglich unterzubringen, beträgt etwa bei Ryanair die durchschnittliche Sitzbreite nur noch 17 Zoll (43,2 cm).

Condor-Kunden können die "Premium Economy Class" für alle Kurz- und Mittelstreckenflüge schon seit September 2010 buchen: Die Passagiere sitzen im vorderen Flugzeugbereich nur auf Fenster- oder Gangplätzen: mehr Sitzkomfort durch den freien Mittelplatz. Der Service beinhaltet auch ein "Premium Menü", kostenfreie alkoholische Getränke zu den Mahlzeiten, eine größere Zeitschriften-Auswahl, kostenfreie Kopfhörer und einen separaten Check-in an allen deutschen Flughäfen. Ihre Langstreckenflotte stattet Condor derzeit mit einer neuen Kabine aus: Die Sitze sämtlicher Klassen werden von modernen Sitzen ersetzt. Per "Entertainment on demand" kann jeder Gast auf eigenem Bildschirm sein Unterhaltungsprogramm wählen.

Ein explizites "Premium" vor der "Economy Class" findet man bei Air Berlin nicht. Dafür bietet man hier auf Kurz- und Mittelstreckenflügen - also auch nach Mallorca - in der Economy Class "ergonomisch geformte Ledersitze" - zudem können hier XL-Sitze für mehr Beinfreiheit reserviert werden. Auf Langstreckenflügen hat Air Berlin eine neue Business Class mit 19 Full-Flat-Sitzen im Angebot, die eine vollständig flache Liegeposition ermöglichen. Die überwiegende Einzelsitzbestuhlung soll "ein angenehmes Raumgefühl mit Privatsphäre und Zutritt zum Gang von jedem Platz aus" ermöglichen. Für zusätzlichen Sitzkomfort sind die Sitze in der Langstrecken-Economy Class "mit einer speziellen Polsterung im Lendenwirbelbereich, Anti-Thrombose-Auflage und individuell verstellbarer Kopfstütze" ausgestattet.

Fazit: Beinfreiheit ist Trumpf bei immer mehr Airlines. Der Wunsch danach (und überhaupt nach mehr Komfort) wächst natürlich mit der Länge der Flugstrecke - wie auch die Bereitschaft, dafür den Aufpreis von zwei-, drei- oder auch vierhundert Euro extra pro Strecke hinzublättern.

(aus MM 9/2014)