In den Krankenhäusern auf Mallorca werden selbstverständlich auch komplizierte Operationen durchgeführt. | Archiv

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"Was wir hier auf Mallorca mit den Ärzten schon erlebt haben, das glaubt uns keiner”, sagt ein Mann aus Süddeutschland, der bei Manacor wohnt. Er hat mit den Folgen einer überstandenen Leukämiebehandlung zu kämpfen, seine Frau leidet unter Knieproblemen. Die Beschwerdeliste der Senioren ist lang: Beim Notruf wurde einfach aufgelegt, ein Krankenwagenfahrer fand die Adresse nicht, stundenlange Wartezeiten des Krebspatienten in der Notaufnahme, Ärzte, welche die Behandlungen verweigerten, weil die Patienten kein Spanisch sprechen ... „Wir haben uns extra vor dem Umzug informiert und es hieß, Mallorca habe ein gutes Gesundheitssystem”, erzählt die Seniorin, doch die Realität stelle sich für sie ganz anders dar.

Tatsächlich gilt die Gesundheitsversorgung auf der Insel im spanischen Vergleich als hervorragend. Besonders das Universitätsklinikum Son Espases sticht dabei heraus. Das spanische Gesundheitssystem, das 1978 nach der Franco-Diktatur geschaffen wurde, genießt in der Bevölkerung generell einen guten Ruf. Auch trotz der Kürzungen im Zuge der Wirtschaftskrise. Laut der Rangliste „Healthcare Access and Quality Index” aus dem Jahr 2017 belegt Spanien den achten Platz unter den weltweit besten Gesundheitssystemen, Deutschland landet auf Platz 20. Gerade vor dem Hintergrund der in Deutschland laufenden Diskussion um die Einführung der Bürgerversicherung lohnt sich ein Blick nach Spanien, und das nicht nur, weil die Gesundheitsversorgung kostengünstiger ist.

2002 wurde das hiesige Gesundheitssystem dezentralisiert. Die autonomen Regionen sind für die Verwaltung zuständig, auch die finanziellen Mittel werden nicht mehr von Madrid aus gesteuert. „Das war ein wichtiger Schritt”, erklärt Dr. Werner Brill. Der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie ist seit der Gründung des Krankenhauses in Manacor vor 21 Jahren dort beschäftigt.

Die mallorquinischen Krankenhäuser bekommen jedes Jahr ein festes Budget zugeteilt. Damit gelte es hauszuhalten. Dass die Mittel vor Jahresende aufgebraucht seien, komme seit Langem nicht mehr vor. Jedoch komme jede Behandlung und Operation auf den Prüfstand. „In Deutschland wird anders abgerechnet”, erklärt der Mediziner. Nämlich nach diagnosebezogenen Fallgruppen. Jede Behandlung wird nach einem im Vorjahr ermittelten durchschnittlichen betrieblichen Aufwand bewertet und abgerechnet. „Das kann leicht zu perversen Entwicklungen führen”, sagt Brill. Nämlich dass zu viel operiert werde, damit im kommenden Jahr das Budget nicht kleiner ausfällt.

Das gibt es in Spanien nicht. „Wir haben immer zu viel Arbeit, und das Budget ist knapp kalkuliert.” Im Jahr operiert er 150 Hüften, hinzu kommen 150 Notfälle wie Frakturen. Die Kernarbeitszeiten sind von 8 bis 15.30 Uhr, hinzu kommen Notfallschichten und freiwillige Dienste. „Einige Kollegen bessern ihr Gehalt zudem durch private Sprechstunden auf”, weiß der Facharzt. Laut spanischer Ärztekammer verdiente ein Mediziner in Spanien 2015 im Schnitt 56.000 Euro im Jahr – das ist weniger als der OECD-Durchschnitt.

„Als ich noch in Deutschland im OP stand, wusste ich nie, wann Feierabend ist”, erinnert Brill sich an die Zeit an der Uniklinik in Homburg. Oft dauerte die Schicht zwölf Stunden oder mehr, dafür sei natürlich der Verdienst wesentlich attraktiver gewesen, so der 63-jährige Chefarzt.

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„Ich bin ein Verfechter der spanischen Sozialmedizin”, sagt Werner Brill. Das Hausarztmodell sei beispielsweise ein dringend nötiger Filter: „Wir versuchen die Hausärzte zu erziehen, nicht jeden Bagatellfall zu überweisen.”

Doch Geld und Personal sind Dauerbrenner: Für das Krankenhaus in Manacor seien dringend mehr Geld und mehr Platz nötig. „Bei der Planung hat man sich hier verkalkuliert”, kritisiert der Mediziner. Das Kreiskrankenhaus sei für einen Einzugsbereich von 150.000 Patienten und im Sommer die fünffache Zahl einfach zu klein.

Diskussionen gibt es auch immer wieder um die Sprachpolitik im öffentlichen Gesundheitssystem. Am Dienstag beschloss das Balearen-Parlament, dass Katalanisch-Kenntnisse keine zwingende Voraussetzung sein sollen, um als Arzt oder medizinisches Personal arbeiten zu können.

Was aus Brills Sicht allerdings unbedingt verbessert werden müsste, sind die Wartezeiten auf Termine und Operationen. Nach den gesetzlichen Vorgaben muss jeder Patient innerhalb eines halben Jahres behandelt werden. Doch bei einigen Krankheitsbildern sei das zu viel Zeit. Die aktuelle Balearen-Regierung investiert deshalb mehr Geld für zusätzliche Operationen, zu denen sich die Ärzte freiwillig melden können.

Die Balearen-Regierung brüstet sich damit, die Wartezeiten auf eine Behandlung von durchschnittlich 105 auf 78 Tage verringert zu haben. Für eine Mär hält das Carmen Flores von der spanischen Patientenvereinigung. 231 Patienten setzten sich im vergangenen Jahr mit der Organisation in Kontakt. Eines der Hauptprobleme: zu lange Wartezeit auf einen Arzttermin, nicht selten verschlimmert sich dabei der Zustand des Kranken. „Bei den Statistiken zu den Wartezeiten wird viel getrickst”, sagt Carmen Flores. So zählen Patienten, die sich beispielsweise Hilfe bei einem Privatarzt gesucht haben, weil sich nicht länger warten wollten, nicht mehr dazu.

Sie sieht den Personal- und Geldmangel als Krankheit des Gesundheitssystems. „Deshalb wurde ein gutes System immer mehr in eine private Versorgung überführt, die wie ein Unternehmen funktioniert”, kritisiert sie. Das werde auch im Fall von Mallorca deutlich, wo das Gesundheitssystem nicht an die zahlreichen Urlaubsgäste angepasst werde. Aus ihrer Sicht müsste auch die Versorgung im ländlichen Raum verbessert werden.

(aus MM 06/2018)