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Der Wähler hat immer recht, lautet eine bekannte Politiker-Weisheit. Und so wurde in den ersten Kommentaren nach dem Wahlsonntag die neue politische Lage in Spanien erst einmal schöngeschrieben beziehungsweise -geredet. Natürlich kann man dem Votum positive Seiten abgewinnen. Die Spanier haben die beiden etablierten, in unzählige Korruptionsaffären verstrickten Volksparteien abgestraft und unverbrauchte Kräfte ins Parlament gewählt. Sie mussten dabei auch keinen Rechtsruck vollziehen. Dennoch ist inzwischen Ernüchterung eingekehrt. Die Situation ist äußerst verzwickt. Wie erwartet müssen Bündnisse oder Koalitionen geschmiedet werden, die es noch nie gegeben hat. Staatsmänner sind gefragt, die nachgeben und Kompromisse ertragen können, ja möglicherweise dazu bereit sind, sich selbst zu opfern, um das Königreich auf Kurs zu halten. Was man in den letzten Tagen gehört hat, ließ an diesen Fähigkeiten zweifeln. Bislang wurden eher neue Hürden aufgebaut und vorschnell Absagen erteilt. Die einen wollen generell nicht mit der einen oder anderen Partei, die anderen nicht mit dem einen oder anderen Kandidaten, und die nächsten machen ein Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien zur Bedingung. Aber noch ist es zu früh, um Spanien für "unregierbar" zu erklären. Diese ersten Statements fielen reflexartig und zeigen nur, wie tief die Gräben sind, die es zuzuschütten gilt. PP und PSOE sind programmatisch in Wirklichkeit nicht so weit voneinander entfernt, wie uns deren Führer Glauben machen. Es handelt sich um historische Konflikte, die in der neuen Zeit keinen Platz mehr haben. Auch mit den neuen Liberalen (Ciudadanos) gibt es ausreichend Schnittmengen. Ob dem Land eine bunt gescheckte Linksregierung mit Podemos und Separatisten guttun würde, darf indes bezweifelt werden. Der Sturm wird sich legen. Nicht ausgeschlossen, dass Rajoy & Co. sich noch umgewöhnen und aufeinander zugehen. Dann, aber nur dann kann das Wahlergebnis ein Segen für die Demokratie sein. Und die Wähler hätten wieder einmal recht gehabt. Autor: Bernd Jogalla