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Großartiger kann eine Konzertsaison nicht beginnen: am 29.Juni spielt der junge Pianist David Khrikuli zusammen mit den Balearensinfonikern unter ihrem Chef Pablo Mielgo im Innenhof von Schloss Bellver zum Auftakt des „Sinfonischen Sommers“ das 2.Klavierkonzert von Johannes Brahms – „eines der allerbesten Werke von Brahms“! (Franz Liszt)

Wenn Liszt das sagt! Der muss es ja wissen, schließlich war er selbst ein großer Pianist und hat ebenfalls zwei Klavierkonzerte komponiert. Brahms selbst war in seiner Einschätzung etwas bescheidener. In dem für ihn typischen selbstironischen Understatement schrieb er am 7. Juli 1881 an Elisabeth von Herzogenberg: „Erzählen will ich, dass ich ein ganz kleines Klavierkonzert geschrieben mit einem ganz kleinen zarten Scherzo.“ Nun, „ganz klein“ kann man es mit seinen vier (anstatt der üblichen drei) Sätzen und einer Spieldauer von rund 55 Minuten wahrhaftig nicht nennen! Dafür hat er sich aber auch Zeit gelassen: fast zwei Jahrzehnte waren seit dem Misserfolg des ersten vergangen, bis die Nummer zwei am 9. November 1881 in Budapest zur Uraufführung gelangte, mit Brahms am Flügel. Reclams Konzertführer sieht in ihm ein „Opus summum der Konzertliteratur und eine Bilanz nicht nur der individuellen Bemühungen eines Komponisten, sondern zugleich einer ganzen Gattung im 19. Jahrhundert.“ Es ist, wie schon das erste in d-moll, eine Synthese aus Konzert und Sinfonie: die motivische Verflechtung zwischen Soloinstrument und Orchester rückt es in die Nähe der letzteren, der Dialog zwischen beiden betont das konzertante Element.

Gleich der Beginn, ein solistischer Hornruf und „antwortende“ Klavierakkorde, stößt ein Tor in eine romantische Welt auf. Klar voneinander abgehobene Themenkomplexe prägen den ersten Satz. Alles hat riesige Ausmaße, mit 19 Minuten ist der Satz fast so lang wie das ganze erste Liszt-Konzert oder das D-dur-Konzert von Haydn. Die drei Folgesätze sind mit je rund 10 Minuten wesentlich kürzer. Im dritten Satz, einem Andante, kommt ein Solo-Cello hinzu. Im Finale schließlich beherrscht spielerische Leichtigkeit das Geschehen. Der Klavierpart aller vier Sätze ist höllisch schwierig, dennoch ist die Virtuosität nie Selbstzweck.

Ernst zu nehmende Kritiker äußerten sich überaus positiv. So schrieb der gefürchtete Eduard Hanslick (nach der Wiener Premiere am 26. Dezember 1881): „Was Brahms den Wienern diesmal an den Christbaum gehängt, ist eine Perle der Concertliteratur.“

Der unsägliche Hugo Wolf allerdings hatte mal wieder gar nichts begriffen und lästerte in gewohnter Manier. Dazu muss man allerdings wissen, dass Wolf sich als Sprecher der sogenannten „Neudeutschen“ verstand, und die bezogen gegen den in ihren Augen rückwärtsgewandten und konservativen Brahms generell und aus Prinzip Stellung. Trotzdem: ein Satz wie dieser hätte nicht sein müssen: „In einem einzigen Tschinellenschlag Liszts drückt sich mehr Geist und Empfindung aus als in allen Brahms’schen Sinfonien und Serenaden zusammengenommen.“

Und speziell über das Klavierkonzert giftete er: „Wer dieses Klavierkonzert mit Appetit verschlucken konnte, darf ruhig einer Hungersnot entgegensehen; es ist anzunehmen, dass er sich einer beneidenswerten Verdauung erfreut und in Hungersnöten mit einem Nahrungs-Äquivalent von Fenstergläsern, Korkstöpseln, Ofenschrauben u. dgl. Mehr sich vortrefflich zu helfen wissen wird.“

Was er da über Brahms verzapft hat, finde ich so haarsträubend und in seiner Gehässigkeit schon wieder originell, dass ich es Ihnen nicht vorenthalten wollte. Lassen Sie sich von seinem Geschwätz nicht beirren und genießen Sie das Konzert. Bei YouTube helfen Ihnen dabei Hélène Grimaud und David Zinman per Video-Live-Mitschnitt. Oder meine Lieblingsaufnahme: Krystian Zimerman und Leonard Bernstein mit den Wiener Philharmonikern in einer packenden Wiedergabe von 1985. Maßstäbe gesetzt haben Svatoslav Richter und Erich Leinsdorf 1960 mit dem Chicago Symphony Orchestra. – Eine Einführung in das zweite Werk des Abends, das Klavierkonzert Nr.2 von Rachmaninow können Sie demnächst an dieser Stelle lesen.