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Das letzte Bellverkonzert gestern Abend begann mit einer halbstündigen Verspätung: der Bühnenabbau des zuvor erklungenen Konzerts des britischen Sängers und Songwriters Richard Hawley dauerte noch an. Aber das Warten wurde reichlich belohnt. Was die Sinfoniker zum Saisonende auf die musikalischen Bretter der Welt stellten, war noch einmal ein Highlight der Extraklasse. Mielgos Konzept war wieder einmal aufgegangen: man nehme zwei junge Ausnahmetalente und gestalte mit ihnen ein affektgeladenes, abwechslungsreiches Programm aus perfektem Beethovenspiel und ganz großer Oper (in vier Sprachen: Tschechisch, Italienisch, Französisch, Deutsch). Dass die beiden Künstler, der Pianist Dmytro Choni und die Sopranistin Olena Tokar aus der Ukraine kommen, sorgte zudem für Aktualität. In Zeiten wie diesen kann es nicht hoch genug eingeschätzt werden, wenn ukrainischen Musikern eine Plattform als Kulturbotschafter ihrer gebeutelten Heimat geboten wird.

Was kann man über einen Pianisten am Beginn einer Weltkarriere noch sagen, das nicht schon geschrieben wurde? In seiner Interpretation des 3.Klavierkonzerts von Beethoven konnte man alles wiederfinden, was ihm von Kritikern immer wieder attestiert wurde: so schrieb The Dallas Morning News beispielsweise über ihn: „Rare ist he musician with so natural feeling for rubato, the expressive give and take of pace, as well as color and texture.“ Das Fachblatt Pizzicato bescheinigt ihm „real greatness and ingenious breath“. Choni selbst ruht sich auf diesen Lorbeeren nicht aus: „Erfolgreich sein heißt für mich, ständig als Musiker und Mensch zu wachsen und nicht aufzuhören, die Wahrheit in der Musik zu suchen. Der wichtigste Aspekt ist meiner Meinung nach, die Musik von ganzem Herzen zu lieben.“ – Fabelhaft, wie gestern Abend die Anschlüsse klappten, bezwingend die Präzision selbst in den schwierigsten Passasgen. Im Largo war er der durchgeistigte Poet am Klavier, sein Spiel war luzide-transzendent, und wenn es nicht so abgedroschen klänge, könnte man sagen, er stieß in höhere Sphären vor. Im finalen Rondo gelang ihm die Gratwanderung zwischen zupackender Rhythmik und kantabler Melodienseligkeit. Großes Klavierspiel, das vom Publikum frenetisch beklatscht wurde. Und als hätte er seine makellose Virtuosität nicht bereits zur Genüge unter Beweis gestellt, legte er in der Zugabe noch eins drauf: mit Alfred Grünfelds „Fledermaus“-Paraphrase steigerte er die Verzückung im ausverkauften Schlosshof ins Unermessliche. (Dieses hochvirtuose Stück spielt zum Beispiel auch Rudolf Buchbinder gern als Encore, zu besichtigen bei YouTube.)

Mit der charismatischen und hochtalentierten Sopranistin Olena Tokar zauberte Mielgo nach der Pause sein zweites Ass aus dem Ärmel. Zunächst durfte aber das Orchester in Verdis Ballettmusik aus Macbeth glänzen. Und das tat es wie immer auf höchstem Niveau. – Die Sängerin hat in all den Opern, aus denen sie die großen Arien sang, auf der Bühne gestanden: in „Rusalka“, aus der sie das berühmte Lied an den Mond vortrug, 217 am Leipziger Opernhaus; als Mimi in Puccinis „La Bohème“ ebenfalls in Leipzig und 2018 beim Verbier Festival; in Gounods „Faust“ als Gretchen 2014 an der Semper-Oper sowie in Leipzig und Vilnius. Das konnte man sehen: sie verband ihre schauspielerische Erfahrung mit atemberaubender Stimmkultur. Bei „Meine Lippen küssen so heiß“ aus Franz Lehárs „Giuditta“ kam der deutschsprachige Teil des Publikums zudem in den Genuss ihrer perfekten Textverständlichkeit. Als Zugabe die „schönste Arie aus dem Sopranfach“ (O-Ton Tokar in ihrer Ankündigung): „O mio babbino caro“ aus Giacomo Puccinis Welthit Gianni Schicchi. Seit der Uraufführung 1918 an der New Yorker Met geht das Lied um die Welt; Joan Hammond gewann damit 1969 eine Goldene Schallplatte für 1 Million (!!!) verkaufte Exemplare. Kein Wunder, dass nach diesem Superhit der Applaus keine Grenzen mehr kannte. Sängerin, Orchester und Dirigent teilten sich ihn, alle hatten gleichermaßen mit künstlerischer Qualität und überbordender Spielfreude zu diesem krönenden Saisonabschluss beigetragen.