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Matthias Kirschnereit spielt am 14.April in der Bodega Macia Batle in Santa Maria Beethoven und Chopin. Ich möchte Ihnen den Künstler hier vorstellen, er war so liebenswürdig, mir ein Interview zu geben. Ich erreiche ihn telefonisch in seinem Studio in Hamburg. Mein Anruf platzt mitten in eine Übungs-Session hinein; er beschäftigt sich gerade mit einer pianistischen Rarität, dem Konzertstück für vier Hörner von Robert Schumann – in einem Arrangement für Klavier und Orchester. Man hört ihm seine Begeisterung für das Stück an, als er es mir kurz erklärt. Er hat es vor Jahren bereits mit dem Konzerthausorchester aufgenommen , die CD mit sämtlichen Werken Schumanns für Klavier und Orchester gibt’s – ein Bisschen Werbung darf sein - bei den gängigen Streaming-Portalen. Hier der Anfang des Konzertstückes.

Martin H. Müller: Herr Kirschnereit, Sie haben Ihre Kindheit in Namibia verbracht, sind mit 14 nach Deutschland zurückgekehrt, haben in Detmold studiert und haben dann Ihre Karriere als Konzertpianist gestartet. Da ist natürlich die Frage nach dem berühmten Schlüsselerlebnis, ab dem Sie für immer an die Musik verloren waren, besonders interessant. Wie sieht eine namibische musikalische Initialzündung aus?

Matthias Kirschnereit: Ich hatte drei Jahre lang überhaupt keinen Klavierunterricht, nach Wiederaufnahme des Unterrichts – mit minimalem Aufwand – war ich Jahrgangsbester und habe an Konzerten, unter anderem in Windhuk, mitgewirkrt mit Clementi und einem kleinen Mozart, und das hat mir so gut gefallen, dass der Wunsch kam, Pianist zu werden. Natürlich war ich damals geradezu naiv, ich hatte keine Ahnung, was gutes Klavierspiel voraussetzt, Repertoirekenntnis, stundenlanges Üben und so weiter. Ich bin dann mit 14 nach Deutschland zurückgekehrt – meine Eltern blieben noch in Afrika – und nachdem mir im Studium die Augen geöffnet wurden, habe ich alles auf eine Karte gesetzt. Ich bin praktisch auf den letzten Zug einer Pianistenkarriere aufgesprungen. Im Nachhinein betrachtet, ist das vielleicht auch eine Kraft. Ich war nie ein Wunderkind, und ich bedauere die jungen Leute, die sehr früh sehr weit sind, denen man in jungen Jahren zujubelt. Ich hatte das alles nicht, ich konnte mich entwickeln, und ich bin dankbar, dass ich auch in meinem Alter noch großartige Musik entdecken darf und mich mit ihr auseinandersetze.

MHM: Sie sagten, Sie haben in ihren ersten Konzerten Mozart gespielt. Es scheint sich also zu bewahrheiten, dass frühe Erlebnisse die Vorliebe für Genres, Gattungen, Komponisten prägen. Denn die Klavierkonzerte Mozarts sind bis heute eine Säule Ihres musikalische Schaffens, Sie haben alle 21 auf Platte aufgenommen, Sie haben einen fünfteiligen Podcast über sie bei SWR2 gemacht…

MK: Das mag sein, das habe ich noch gar nicht richtigreflektiert. Fest steht, dass in meinem Elterhaus viel gesungen wurde. Mein Vater war lutherischer Pfarrer, und zunächst ging das Musikhören nicht wesentlich über Bach hinaus. Klar, Mozart gehörte dann irgendwann zu diesem Kanon dazu. Das 18. Und 19.Jahrhundert habe ich erst in Detmold kennen und lieben gelernt. Einen Komponisten wie Chopin habe ich bewusst erst mit 13 Jahren erlebt. Aber es stimmt schon, die Liebe zu Mozart iet etwas für die Ewigkeit. Wobei ich sagen muss, dass ich in meinen Pubertätsjahren Mozart gar nicht so gerne spielen mochte. Seine Musik schien mir allzu leichtgängig, zu heiter, fast schon oberflächlich. Mit dem Drama eines Beethoven, mit der Schwermütigkeit eines Schubert oder Brahms konnte ich wesentlich mehr anfangen. Erst mit der Erabeitung der 21 Mozartkonzerte – und das ist ja wirklich eine Lebensabschnitss-Aufgabe – hat sich meine Ohr, mein Herz und mein Geist für Mozart komplett geöffnet. Mit Beethoven hatte ich plötzlich Schwierigkeiten, er schien mir auf einmal zu konstruiert. Inzwischen habe ich mit beiden meinen Frieden aufs Innigste geschlossen und bin ssehr dankbar, Mozart und Beethoven und die anderen großen Meister spielen zu dürfen.

MHM: In Ihrem Mozart-Podcast bei SWR2…

MK: …oh, haben Sie den gehört?

MHM: Ja, mit Begeisterung. Man kann sogar alle fünf Folgen aus der ARD-Audiothek herunterladen. Also da haben Sie das auch sehr plastisch geschildert, was Sie eben gesagt haben. Und da haben Sie Geza Anda, Gulda und Alfred Brendel als für Sie besonders inspirierend bezeichnet.

MK: Ja, vor allem Brendel. Gulda eigentlich weniger. Ich habe ihn bewundert, aber seine Musik nie wirklich geliebt. Brendels Spiel dagegen berührt mich.

MHM: Diese Auswahl bezieht sich auf Mozart, bei Beethoven sind es sicher wieder andere Pianisten, die Sie inspirieren.

MK: Eine interessante Frage. Nun, zunächst inspiriert mich natürlich die Musik selbst, wenn ich die Partitur lese. Ab und zu gehe ich selbst in Konzerte. Wer mich mit Beethoven sehr beeindruckt hat, ist Grigori Sokolow. Zur Zeit beschäftige ich mich natürlich auch mit Pollini, der kürzlich gestorben ist, aber, um ehrlich zu sein, berührt hat mich sein Spiel nie, obwohl ich seine Statik, seine Klassizität und seine Organisation immer sehr bewundert habe. Von der jüngeren Generation hat mir Igor Levit, mit dem ich gut befreundet bin, sehr viel zu sagen. Mit Perahia habe ich viel zusammengearbeitet. Er hat ja selten Beethoven gespielt, aber wenn er ihn gespielt hat, fand ich das immer sehr beeindruckend. Letztes Jahr habe ich Andras Schiff mit spätem Beethoven gehört, das war auch sehr eindrucksvoll.

MHM: Mir fällt auf, dass alle Pianisten, die Sie aufzählen, einen sehr schönen Anschlag haben, durch den sich ja auch Ihr Spiel auszeichnet. Lise de la Salle, die kürzlich hier das Grieg-Konzert gespielt hat, würde auch in diese Sammlung passen. Die hat nämlich einmal gesagt – und das hat sie hier auch demonstriert -, dass sie das Publikum vergessen lassen möchte, dass das Klavier ein perkussives Instrument ist, dass sie es zum Singen bringen möchte.

MK: Ich liebe die Schönheit des Klanges, die Farbigkeit, die Transparenz des Klanges. Und ich höre das Klavier auch sehr orchestral und ich versuche, verschiedene Instrumente zu imitieren, auch die menschliche Stimme – vor allem bei Chopin…

MHM: …der bezeichnenderweise ein großer Belkanto-Fan war. Bellini hat er sehr geliebt…

MK: ..und ich versuche, das Klavier, diesen Drahtkasten, der ja auch sehr hässlich klingen kann, zu verwandeln. Und insofern versuche ich auch für Bach, für Beethoven, für Chopin, jeweils einen ganz eigenen Klang zu finden. Das Singen auf dem Klavier, das Sprechen, scheint mir wahnsinnig wichtig zu sein. Ich versuche sehr, das Verklingen der Töne zu überlisten, durch den Anschlag, wie ich legato spiele, wie ich die Töne anschließe, wie ich den Spannungsbogen aufbaue. Das kommt von innen, ich habe das starke Bedürfnis, zu singen, zu sprechen, Geschichten zu erzählen.

Teil 2 des Interviews folgt demnächst. Bleiben Sie dran!