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„Doppeltes Spiel“ hat Jörg Handstein seine zehnteilige Hörbiografie über Schostakowitsch betitelt und damit die Tragik eines Komponistenlebens in zwei Worten auf den Punkt gebracht: Schostakowtschs Leben war ein einziges Wechselbad der Gefühle, zwischen regelrechter Glorifizierung durch das perfide System der sowjetischen Machthaber zum Volkshelden und Verfolgung und Ächtung durch eben dieses System. Dann musste er scheinbar zur Lüge greifen, nicht aus Opportunismus, sondern schlicht um zu überleben. Das konnte aber nur denjenigen als Lüge erscheinen, die taub waren für die Ironie, die sich hinter allen „linientreuen“ Bekenntnissen verbarg . Oft begann er ein Werk mit dem angekündigten Vorsatz, es werde ganz im Geiste des sozialistischen Realismus ausfallen, der von den Machthabern gefordert wurde. Aber dann änderte er sein Konzept und schuf eine sarkastische Persiflage auf das System. Wenn’s gutging, merkten die Kreml-Zensoren nicht, wie sie an der Nase herumgeführt wurden. Wenn nicht, wurde es für den Komponisten lebensbedrohlich.

So beginnt auch die 15.Sinfonie, komponiert während der Breschnew-Ära wie eine harmlose Kindheitsverklärung: Glockenspiel und Flöte suggerieren eine heile Spielzeugwelt, Zirkusmusik und Zitate aus der westlichen Welt, Anklänge an Rossini sind zu hören. Aber dann wird der Spielzeugladen gnadenlos zerlegt, das Kind produziert ein kreatives Chaos, das dem sozialistischen Realismus Hohn spricht: Zwölftonreihen und postmoderne Klänge wechseln sich ab, bevor der Schluss dann wieder zur scheinbar heiteren heilen Welt der „Wilhelm Tell“-Ouvertüre zurückkehrt und mit einem höhnischen Lachen endet: der freie Geist triumphiert über die ständig wiederholten hohlen Phrasen einer bleiernen Zeit. Die Satire ist offenbar so gut getarnt, dass ihr die Kritiker auf den Leim gehen: „Dies ist eines der tiefsten Werke von Schostakowitsch, es ist voller Optimismus und Lebensbejahung“ schrieb einer dieser Herren. Der mit dem Werk Schostakowitsch bestens vertraute Dirigent Kurt Sanderling, aus dessen Einspielung übrigens auch meine Musikbeispiele stammen, erkannte aber: „Kein anderes seiner Werke ist so radikal furchterregend und grausam wie die 15.Sinfonie.“ – Im zweiten Satz setzt sich die Doppelbödigkeit in dunklen Farben fort, gefolgt von einer Solo-Cellopassage. Höhepunkt ist ein Trauermarsch voll untergründiger Melancholie. – Ein freches Allegretto schließt sich an: ein Scherzo, das eigentlich gar keins ist, schneidet eine fratzenhafte Grimasse. – Das Finale beginnt mit einem Zitat aus Wagners „Ring“. Mit einer (rhythmisch veränderten) Anspielung auf die 7.Sinfonie, die sogenannte „Leningrader“, führt Schostakowitsch die vorgeblich heitere Welt der Kindheit vollends ad absurdum. Und dann tickt, hörbar, die Uhr weiter in Richtung Ende alles menschlichen Seins. Das Metronom der Vergänglichkeit wird gegen Ende immer unerbittlicher, und mit einem zarten Glockenton geht die anrührende Sinfonie zu Ende. Es ist Schostakowitschs letzte Sinfonie. „Ein erschreckendes Werk über Einsamkeit und Tod“ hat es Kurt Sanderling genannt. – Hören Sie im letzten Kapitel der eingangs erwähnten Hörbiografie mehr über das biografische Umfeld der Komposition. Auch der Podcast Klassik to go von NDR Kultur bietet aufschlussreiche Informationen, ebenso das Zeitwort des SWR. – Meine Einführung in das andere Werk des Abends, Schumanns Klavierkonzert, können Sie hier noch einmal nachlesen. Und, last but not least, Karten für Beides sind auf der Webseite des Auditoriums erhältlich.