Der Raor lebt in Küstennähe über sandigem Meeresgrund. | Medea

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Er ist bunt gestreift und misst höchstens 20 Zentimeter. Die Rede ist vom Raor, dem Schermesserfisch, der es sich gern in den Küstengewässern der Balearen über sandigem Grund gemütlich macht. Am 1. September startete die alljährliche Fangsaison und damit der Run auf den hübschen und seltenen Fisch, der Kilopreise von bis zu 70 Euro erzielt.

Es ist jedes Mal ein sehnsüchtig erwartetes Spektakel, eine Pilgerfahrt auf dem Meer: Hunderte kleine Fischerboote, darunter viele traditionelle Llaüts, liefen pünktlich zum Ende des Fangverbots am vergangenen Dienstag aus den Häfen von Palma, Portocolom, Cap Blanc oder Sa Ràpita aus. An Bord: meist Hobbyangler, die schon in den frühen Morgenstunden vor den Geschäften für Angelbedarf Schlange standen, um sich mit passenden Ködern für ihren Trip aufs Meer einzudecken. Oftmals fahren ganze Familien für einen Tag hinaus, um nach ihrer Rückkehr stolz Fotos und Videos von ihrem Fang zu posten.

Rund 12.000 Freizeitfischer gibt es nach Schätzungen des balearischen Fischereiministeriums (Conselleria d’Agricultura, Pesca i Alimentació) , Tendenz steigend. Anders als bei der Goldmakrele, die sich nur auf Mallorca großer Beliebtheit erfreut, ist die Leidenschaft für den Raor balearenweit verbreitet. „Es ist ein soziales Phänomen mit einer uralten Tradition“, erklärt der Fachdezernent Antoni Garau Coll. Erwähnung fand der zur Gruppe der Lippfische gehörende Raor, der aufgrund seiner Farbenpracht und Kopfform häufig für einen Papageifisch gehalten wird, übrigens schon in der Antike. Der römische Gelehrte Plinius der Ältere beschreibt ihn in seiner naturkundlichen Enzyklopädie.

Um die seltene Spezies vor Überfischung zu schützen, wurde schon vor 20 Jahren ein Fangverbot erlassen, das vom 1. April zunächst bis zum 31. Juli dauerte und schrittweise bis zum 31. August ausgedehnt wurde. „Seitdem hat aber auch die Zahl der Fischerboote zugenommen, so dass der Bestand heute auf dem gleichen Stand wie damals sein dürfte“, vermutet Garau, offizielle Statistiken über die Raor-Population gibt es nicht. Wissenschaftler und Dokumentarfilmer, wie etwa der kürzlich verstorbene Taucher und Meeresschützer Fernando Garfella, fordern daher sogar, ganz auf die Erbeutung des Winzlings zu verzichten. Einen positiven Nebeneffekt aber hatten die Schutzmaßnahmen: Seitdem ihm Angler nicht mehr das ganze Jahr über zu Leibe rücken dürfen, hat sich die Größe des Schermesserfisches um etwa 20 Prozent gesteigert.

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Auch die Fangmenge ist reglementiert. 50 Raors dürfen die Freizeitangler pro Tag fangen, pro Saison und Boot sind maximal 300 Fische erlaubt. Über eine App („Diario de Pesca Recreativa”) müssen sie den Fischereiverband über die Zahl der Schermesserfische, die an ihren Haken endeten, sowie über die Zeitspanne, die sie auf See waren, informieren. Verkaufen dürfen sie ihre Beute übrigens nicht. „Das ist streng verboten, die Raors dürfen nur selbst verzehrt werden“, betont Garau, räumt aber ein, dass angesichts mangelnder Kontrollen der ein oder andere Fisch wohl für gutes Geld den Besitzer wechseln dürfte.

Warum aber nutzen Berufsfischer die Möglichkeit zur Jagd auf den teuersten Fisch Mallorcas nur selten? „Für sie ist das ökonomisch nicht rentabel“, erklärt Garau. Der Raor wird nämlich nicht mit Netzen in großen Mengen erbeutet, sein Fang ist vielmehr ein Geduldsspiel mit Angelrute und Wurfschnur. Die Chance auf eine halbwegs vernünftige Ausbeute gibt es nur mit frisch zubereiteten Ködern aus kleinen Gambas, die allein schon um die 2,50 Euro pro Unze kosten. Jedes Jahr kommen daher nur wenige hundert Kilo der in 30 bis 40 Meter Tiefe lebenden Schermesserfische auf den Markt.

Knappe Güter sind bekanntlich begehrt, aber natürlich hat auch sein Geschmack dem kleinen Fisch zu seiner großen Popularität verholfen. „Der Raor zeichnet sich durch sein zartes Fleisch und ein feines, mildes Aroma aus“, sagt die langjährige Inselköchin Caroline Fabian, die jüngst ein Kochbuch mit typischen Mallorca-Rezepten veröffentlicht hat. Experten empfehlen, ihn nicht direkt von der Angel in die Pfanne zu katapultieren, sondern mit der Zubereitung einen halben Tag zu warten, damit sich der Raor nicht in der Pfanne verformt und besser garen lässt.

In raffinierteren Rezepten findet man den Fisch übrigens eher selten, er gehört trotz seines stolzen Preises zur hiesigen Hausmannskost. Seine Zubereitung ist auch für Kochneulinge leicht zu bewerkstelligen. „Den ausgenommenen Fisch ein wenig salzen und leicht in Mehl wälzen, dann in heißem Öl schwimmend ausbacken, abtupfen und abschließend mit etwas Flor de Sel würzen“, lautet Fabians Tipp.

(aus MM 36/2020)