Die Angst warnt uns und hält uns davon ab, unbedachte Risiken einzugehen. Zugleich mobilisiert sie Kräfte – sei es zur Abwehr oder zur Flucht. | Talia Christa Oberbacher

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Der folgende Text ist der MM-Kolumne "Unter vier Augen" von Talia Christa Oberbacher entnommen. Die Autorin ist Hypnose-Therapeutin und Coach in der Palma Clinic auf Mallorca.

Den Satz aus der Überschrift sagte einst Ali, einer der Protagonisten aus dem gleichnamigen Film von Rainer Werner Fassbinder. Tatsächlich ist es so, dass Angst und vor allem die Angst vor der Angst uns krank machen können. Allerdings ist das nur die halbe Wahrheit. Angst zu haben ist (und das nicht nur) in diesen Zeiten normal, ich würde sogar sagen überlebenswichtig.

Als wir noch mit Knüppeln durch die Gegend liefen und uns bei Meinungsverschiedenheiten einfach auf den Kopf schlugen (scheint, als wäre es gestern gewesen), war es durchaus ratsam, Angst zu haben. Beispielsweise Angst vor dem Säbelzahntiger, der eine ständige Bedrohung für Leib und Leben darstellte. Nur so war es möglich, angemessen zu reagieren, zu fliehen, zu kämpfen oder einfach stehenzubleiben und zu erstarren, wobei ich keinen Hinweis darauf gefunden habe, wie zielführend diese Reaktion wohl gewesen wäre.

Auch die Angst vor Schmerzen kann dazu beitragen, dass wir achtsamer sind, wenn wir beispielsweise in der Küche mit heißen Töpfen oder scharfen Messern hantieren. Angst kann etwas Instinktives sein, wenn wir bei einem Unwetter Schutz vor starkem Regen oder Sturmböen suchen, um uns vor Schaden durch umstürzende Bäume oder Überflutungen zu bewahren.

Angst ist also nicht per se etwas Schlechtes, sondern eine äußerst wichtige Fähigkeit, die sehr vielen Lebewesen innewohnt. Manche Wissenschaftler gehen sogar davon aus, dass selbst Pflanzen angstähnliche Zustände kennen. Dazu gab es 2015 im National Geographic einen interessanten Artikel über František Baluškas, der am Botanischen Institut der Universität Bonn dazu forscht. In dem Artikel heißt es: „ Zwar besitzen Bäume und Pflanzen keine Nervenzellen. Aber sie produzieren Hormone, mit denen sie Sinnesreize durch ein feines Adergeflecht zu ihren eigenen Organen übermitteln – auf diese Weise fühlen, sehen, hören und kommunizieren sie. ” Weiter wird ausgeführt, dass „ Pflanzen in der Lage sein sollen, auf Bedrohungen von Fressfeinden durch den Ausstoß von Duftstoffen oder Gasen zu reagieren. ” Mit anderen Worten, ihre „Angst”, gefressen zu werden und sonst zu Schaden zu kommen, bringt sie dazu, entsprechend zu reagieren.

Nun gehören Pflanzen ja nicht zu den geschwätzigsten Wesen auf diesem Planeten, zumindest müssen wir derzeit davon ausgehen, und so können wir sie nicht fragen, ob sie sich auch schon drei Tage vorher darüber Sorgen machen, dass ihnen der fette Rosenkäfer einen Besuch abstatten wird, um sie anzuknabbern. Oder ob sie hyperventilieren bei der Vorstellung, dass eine Kolonie Blattschneideameisen auf dem Weg zu einem Picknick ist. Ich gehe stark davon aus, dass diese Eigenschaften nur uns Menschen vorbehalten sind.

Ich habe auch noch nie davon gehört, dass die Hauskatze drei Tage vor dem nächsten Tierarzttermin nicht schlafen kann oder Panikattacken hat. Nein, das können nur wir. Sorgen machen, Ängste haben vor eventuell, möglicherweise, unter Umständen eintretenden Situationen, schlimmstenfalls sogar davor, überhaupt Ängste zu entwickeln.

Man könnte meinen, dass Angst unsere Feindin sei und ein zutiefst destruktives Gefühl. Aber (siehe oben) das ist nicht der Fall. Wenn wir einmal davon ausgehen, dass Angst eine wichtige Funktion hat, demzufolge eher unsere „Freundin” ist, dann stellt sich die Frage, wie wir dieser Freundin beibringen können, wann sie erwünscht und hilfreich, ja sogar lebensrettend ist und sich gerne melden darf, und wann sie einfach nur völlig überreagiert, uns nervt und vielleicht sogar in Gefahr bringt durch ihr Getue. Denn ein Gefühl von Angst ohne realen Bezug kann uns lähmen und zu falschen Annahmen oder sogar Handlungen bringen.

Wenn wir also unterstellen, dass die Angst im Grunde eine wichtige Rolle spielt, wenn sie sich im richtigen Moment zu Wort meldet, sollten wir vielleicht mal ihre Stellenbeschreibung überprüfen und anpassen. Ja, anpassen, nicht streichen. Das gelingt nur dann, wenn wir unserer Angst zunächst wohlwollend gegenübertreten und ihre Anwesenheit wahrnehmen.

Sie einfach weg haben zu wollen und zu ignorieren, käme ungefähr dem Verhalten gleich, eine aufleuchtende Ölwarnlampe im Auto lediglich zu überkleben, damit sie nicht mehr nervt, anstatt den Ölstand zu prüfen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Also, wir nehmen die Angst wahr, bedanken uns womöglich für ihre Wachsamkeit (auch wenn es seltsam klingt, es kann mitunter sehr hilfreich sein, Gefühle zu personifizieren) und überprüfen dann, ob tatsächlich ein Grund vorhanden ist für ihr Erscheinen. So, als würde ein Rauchmelder Alarm schlagen, und Sie überprüfen, ob es ein Fehlalarm ist, die Tochter ein Räucherstäbchen entfacht hat oder der Göttergatte heimlich eine Zigarette raucht, obwohl er vorgibt, längst damit aufgehört zu haben. Wenn Sie dann also herausgefunden haben, ob tatsächlich ein Grund zur Besorgnis vorliegt, können Sie entsprechend und vor allem adäquat reagieren (die Tochter ermahnen, nicht zu tief einzuatmen oder mit dem Gatten zusammen eine Zigarettenpause einlegen). Und sollte alles gut sein und die Angst sich nur vorsichtshalber und rein prophylaktisch gemeldet haben, helfen Sie ihr, sich wieder zu entspannen und zur Ruhe zu kommen. Und wenn Sie das gut machen, entspannen Sie sich gleichzeitig mit.

Atmen kann dabei sehr hilfreich sein. Das machen Sie eh den ganzen Tag und können es in diesen Situationen ganz bewusst machen. Sie atmen durch die Nase ein und aus, nicht besonders schnell oder langsam, tief oder flach, atmen Sie einfach so, wie der Atem es will. Vielleicht könnte man sagen, Sie lassen sich atmen oder Sie beobachten wie der Atem kommt und geht. Beim Ausatmen verweilen Sie ein kleines bisschen länger als beim Einatmen. Das führt dazu, dass Ihre Lunge in jedem Fall wieder genug freien Platz hat, für den nächsten Atemzug. Wenn Sie eine Weile so atmen, werden Sie spüren, wie Sie allmählich wieder ruhiger werden und entspannen. Das ist im Grunde auch gar nicht anders möglich, da Sie durch den verlangsamten Atem Einfluss nehmen auf viele Funktionen Ihres Körpers. Beispielsweise passen sich Herzschlag und Blutdruck an die entschleunigte Atmung an und kommen auch etwas zur Ruhe.

Dann können Sie sich die angstauslösende Situation anschauen und prüfen, wie Sie damit umgehen wollen. Übrigens kann auch Hypnose dabei hilfreich sein. In einer leichten Trance ist es sehr viel einfacher möglich, sich mit seinen Ängsten auseinanderzusetzen, ohne in Panik zu geraten. So kann die Angst, wenn man mit ihr umzugehen weiß, eine Wegbegleiterin werden, eine Art Frühwarnsystem, das uns dabei unterstützt, gut für uns zu sorgen, und uns hilft, wohlwollend und heilsam mit uns umzugehen.

Talia Christa Oberbacher ist Hypnose-Therapeutin und Coach in der Palma Clinic.

(aus MM 11/2022)