Ein “Newcomer” am Pult der Balearensinfoniker: der junge tschechische Dirigent Jiri Rozen | Martin H. Müller

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Lang hatte man darauf gewartet: die Alpensinfonie von Richard Strauss war bereits für die Saison 2019/20 geplant gewesen, doch dann kam Corona. Am Donnerstag Abend war es nun endlich so weit, das monströse Tongemälde ließ das Auditorium in seinen Grundfesten erbeben. Nicht, wie vorgesehen, unter der Leitung des Chefdirigenten Pablo Mielgo, anstatt seiner schwang der junge tschechische Newcomer Jiři Rožeň den Taktstock (ungewöhnlicherweise mit der linken Hand übrigens). Rožeň, 1991 in Prag geboren und Schüler unter anderem von Bernhard Haitink, David Zinman und Peter Eötvös, ist gerade dabei, sich international nicht nur als Spezialist für tschechische Musik zu etablieren.

So kam ihm das bereits von Mielgo geprobte Programm, das er kurzfristig übernahm, mit Wiener Klassik und deutscher Spätromantik für sein Palma-Debüt gerade recht. Zu Beginn ließ er – schöne Geste – die ukrainische Nationalhymne spielen. In Haydns Sinfonie Nr. 101 (seine viertletzte, in und für London komponiert) sah Rožeň mehr als nur ein Stück zum „Warmspielen“ (wie das leider oft der Fall ist): engagiert und mit einer auch fürs Publikum nachvollziehbaren Zeichengebung leitete er die Balearensinfoniker durch die Partitur. Rhythmisch sehr stringent (im Andante, das mit seinem tickenden Grundrhythmus der Sinfonie den Beinamen „Die Uhr“ gegeben hatte, saß ihm das Metronom vielleicht etwas zu sehr im Nacken), großenteil non legato, stellenweise fast ein wenig „historisch informiert“ präsentierte er dieses Highlight der Wiener Klassik. Mit allen Wiederholungen übrigens, auch im für ein Menuett reichlich flott angegangenen 3. Satz. Klangliche Transparenz lag ihm am Herzen, was spätestens im Fugato des Finales Details hörbar werden ließ, die sonst oft untergehen.

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Nach der Pause dann das Stück, das wahrscheinlich die meisten zum Besuch dieses Konzerts bewogen hat, „Eine Alpensinfonie“ des bayerischen Urgesteins Richard Strauss. Fast 30 Jahre nach seinem tonmalerischen Erstlingswerk „Aus Italien“, nachdem er längst mit „Salome“, „Elektra“ und dem „Rosenkavalier“ als Opernprofi Fuß gefasst hatte, wandte er sich 1915 ein letztes Mal der sinfonischen Dichtung zu. Strauss, der sich gern als Vertreter der Moderne gab, im Grunde aber erzkonservativ war (über Schönberg, der damals gerade im Begriff war, die Zwölftonmusik zu erfinden, sagte er, dem „könne nur noch der Irrenarzt helfen“), zog noch einmal alle Register seiner tonmalerischen spätromantischen Kompositionstechnik. Wie alle seine sinfonischen Dichtungen davor weist auch die Alpensinfonie jede Menge „Showeinlagen“ auf: Kuhglocken, Windmaschine, Donnerbleche, eine Orgel und ein gigantischer Schlagzeugapparat als Teil eines Riesenorchesters „malen“ die Eindrücke einer Alpenwanderung von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang; zwölf Stunden sind zu 50 Minuten stellenweise plakativem Soundkino verdichtet. Spannungsbögen im Großen wie im Kleinen , groß angelegte Steigerungen, die in der Gewitterszene auf den Höhepunkt des ganzen Werkes zusteuern, erzeugen eine musikalische Dramatik, der man sich schwerlich entziehen kann.

Viele Zeitgenossen, vor allem Intellektuelle (und solche, die sich dafür hielten) ließen kein gutes Haar an der musikalischen Selbstverwirklichung des Bayern. Konnte man einen Mann ernst nehmen, der die Ansicht vertrat, ein ordentlicher Komponist müsse auch „eine Speisekarte vertonen“ können? Der in seiner Sinfonia domestica das eigene Familienleben fast exhibitionistisch auf dem Konzertpodium zur Schau gestellt und dazu gesagt hatte „Ich sehe nicht ein, warum ich keine Sinfonie über mich selbst schreiben sollte; ich finde mich genau so interessant wie Napoleon!“. Über den Thomas Mann gesagt hatte „Was für ein begabter Kegelbruder!“. Man konnte. Und man tut es immer noch. Dass die Balearensinfoniker stolz darauf sind, die Alpensinfonie zum ersten Mal in ihrer 30-jährigen Geschichte auf die Bühne zu bringen, ist ein weiterer Beweis dafür, dass Strauss in seiner unverwüstlichen Bodenständigkeit immer noch vital ist. Und so zupackend, wie ihn Rožeň gestern Abend zum Leben erweckte, kann er immer noch das Publikum begeistern und zu Beifallsstürmen hinreißen.

Das nächste Abokonzert findet kommenden Donnerstag, 17.03. um 20 Uhr im Trui Teatre statt. In einem Gesprächskonzert (Moderation Nigel Carter) spielen die Sinfoniker „Die Planeten“ von Gustav Holst unter der Leitung von Eduardo Browne.