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Die Menge Müll, die eine Gesellschaft produziert, gilt als Indikator ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Daran gemessen ging es Mallorca lange gut: Als im Jahr 2006 der private Konsum auf Mallorca keine Grenzen zu kennen schien, die Bauwirtschaft boomte und obendrein der Tourismus immer neue Rekordzahlen lieferte, da drohte die Insel nach und nach in ihrem eigenen Müll zu ertrinken.

An kaum einem anderen Ort der Welt fiel pro Einwohner mehr Abfall an als auf der Insel. Bis zu 200.000 Tonnen landeten Jahr für Jahr auf der Müllkippe, weil die bestehende Verbrennungsanlage in Son Reus mit diesen Massen schier nicht fertig wurde.

Also beschloss der Inselrat, die Anlage zu erweitern – und damit sie für viele, viele Jahre ausreichen würde, sollte die Kapazität gleich auf 700.000 Tonnen mehr als verdoppelt werden. Gesagt, getan: Das Betreiberunternehmen Tirme investierte mehr als 276 Millionen Euro in die neue Anlage, im Gegenzug dehnte der Inselrat die Konzession bis zum Jahr 2041 aus.

Womit damals niemand rechnete: Kaum hatte der Bau der Anlage begonnen, brach die Krise über Mallorca herein. Die Baubranche begann zu schwächeln, der private Konsum ging zurück – die Menge des auf der Insel produzierten Abfalls begann zu sinken. Die Lastwagen, die rund um die Uhr nach Son Reus rollen, bringen immer weniger Müll.

Allein die Menge des Bauschutts lag im vergangenen Jahr mit rund 23.000 Tonnen weit unter der ursprünglich kalkulierten Menge von 150.000 Tonnen. Spätestens im Jahr 2011, als die beiden neuen Verbrennungsöfen in Betrieb gingen, wurde das zum Problem: Die neue Anlage ist nicht ausgelastet.

Bis zu 200.000 Tonnen mehr könnten jährlich in Son Reus verbrannt werden, heißt es. Im vergangenen Winter stand die alte Anlage monatelang komplett still. Weniger Müll – was eigentlich eine gute Nachricht sein sollte, erweist sich für Tirme als mittelgroße Katastrophe.

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Denn in den Planungen des Unternehmens bedeutet Müll bares Geld: Die bei der Verbrennung entstehende Hitze bringt Wasser zum Verdunsten, der Dampf wiederum treibt Turbinen an, die ihrerseits Strom produzieren. Diesen verkauft Tirme an die Energiekonzerne.

Etwas mehr als vier Prozent des gesamten Strombedarfs der Balearenbewohner wird auf diese Weise gedeckt – ein enormes Geschäft. Jede Stunde, in der die Öfen kalt bleiben, bedeutet ausbleibende Einnahmen.

Die Kalkulation, von der Inselrat und Tirme ursprünglich ausgegangen waren, stimmt hinten und vorne nicht mehr. Deshalb hat Tirme jetzt eine Anhebung des Tarifs, den die Inselgemeinden pro Tonne Restmüll zahlen müssen, auf 141 Euro gefordert. Bislang werden 131 Euro fällig. Eine Anhebung will der Inselrat jedoch unbedingt vermeiden.

Man wolle den Bürgern keine weiteren Mehrkosten zumuten. Daher die Idee, Müll aus Italien, England und Irland zu importieren. Pro Tonne brächte das Tirme zwischen 40 und 80 Euro.

Bis es so weit ist, sind aber noch reichlich Hürden aus dem Weg zu räumen. Zwar soll die entsprechende Gesetzesänderung bereits in dieser Woche vom Balearen-Parlament beschlossen werden, der Widerstand ist jedoch groß, vor allem aus Sorge um das Image Mallorcas im Ausland und mögliche negative Auswirkungen auf den Tourismus.

Bedenken, die Müllimporte könnten die Umwelt belasten, versucht man bei Tirme mit dem Hinweis zu zerstreuen, die Kontrollen seien streng. Die permanenten Messergebnisse in der Filteranlage von Son Reus belegten, dass der Schadstoffausstoß weit unter den erlaubten Maximalwerten liege. Wissenschaftler der Balearen-Universität wiederum überwachen die Luftqualität in der Umgebung der Anlage.

Und dennoch: Die Front, die sich gegen die Pläne gebildet hat, umfasst mittlerweile Umweltschützer, Hoteliers, Anwohner, Opposition und sogar Lokalpolitiker der regierenden Volkspartei PP. Ob also eines Tages tatsächlich Lastwagen importierten Müll über die Insel karren werden, ist noch offen.