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MM:Warum hat Sie der „Ballermann“ als Fotoprojekt interessiert, Frau Rutsch?

Vivian Rutsch: Ich interessiere mich für skurrile Orte und Begebenheiten und wollte herausfinden, inwiefern die Klischees in meinem Kopf mit der Realität übereinstimmen. Es fasziniert mich, Teil eines Mikrokosmos zu werden und in eine mir unbekannte Welt einzutauchen.

MM: Mit welchen Erwartungen waren Sie angereist?

Rutsch: Das Projekt ist im Rahmen eines Kurses an der Hochschule Hannover entstanden, die Aufgabenstellung war, ein Projekt im Ausland zu realisieren. Angedacht waren dafür die Semesterferien im Sommer. Daher waren meine Erwartungen an meinen Aufenthalt, mich fotografisch weiterzuentwickeln und neue Erfahrungen zu sammeln. Es ging mir nicht primär um das fertige Produkt, mehr um die Erfahrung an sich, in besonderen Verhältnissen zu arbeiten.

MM:Was hat Sie überrascht?

Rutsch: Ich hatte eine unglaublich spannende, wenn auch sehr anstrengende Zeit, während meines dreiwöchigen Aufenthalts. Es war wunderbar zu erleben, wie offen und kommunikativ die Menschen mir begegnet sind. Überraschenderweise bin ich mit meiner Kamera nirgends auf Ablehnung gestoßen, im Gegenteil: Die Leute schienen sich über mein Interesse zu freuen. Obwohl ich allein nach Mallorca gereist bin, habe ich selten Zeit allein verbracht. Ich hatte mir den Zugang sehr viel schwieriger vorgestellt.

MM:Was fasziniert die Urlauber so an der Partymeile?

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Rutsch: Ich habe die deutsche Urlaubskultur als eine große Gemeinschaft wahrgenommen. Am Ballermann, wo ich mich primär aufhielt, war die Stimmung immer ausgelassen und ungehemmt. Ich denke, die Menschen finden hier einen Ort, den es in ihrer Heimat nicht gibt. Alter und Beruf spielen keine Rolle, das ist sicher ein Grund für die Faszination, die der Ballermann auf deutsches Publikum ausübt. Besonders für eine Generation, für die es in Deutschland eigentlich keine Partykultur in diesem Ausmaß gibt. Diese Ausgelassenheit wäre in Deutschland undenkbar, für viele bedeutet feiern am Ballermann auch frei sein, ohne dafür verurteilt zu werden.

MM: Überschäumende Lebensfreude spricht nicht aus Ihren Fotos. Man könnte meinen, es geht eher ernst zu am „Ballermann”?

Rutsch: Die Bilder sind meine persönliche Sicht auf den Ballermann. Ich bin ein sehr kritischer Mensch und so sind es meine Fotos auch. Für mich hat der ungehemmte Aspekt des deutschen Tourismus am Ballermann einen ernsteren, tieferen Hintergrund. Auf mich hat es gewirkt, als ob viele Menschen hier auf der Suche nach etwas sind, das ihnen im Alltag fehlt. Für mich herrscht ein Ungleichgewicht in der Lebensweise, wenn Freiheit und Ausgelassenheit nur ein paar Tage im Jahr relativ anonym stattfinden können.

MM: Im Gegensatz zu vielen Party-Urlaubern sind Sie auch noch über die Insel gefahren. Was haben Sie sonst noch kennengelernt?

Rutsch: Für mich ist Mallorca viel mehr als nur der Ballermann, auch wenn meine Geschichte sich auf den Ballermann und die deutschen Touristen spezialisiert hat. Die Insel hat wunderschöne Seiten, besonders die Tramuntana hat mich beeindruckt. Aber auch die vielen kleinen, ruhigen Dörfer wie Valldemossa und Alcúdia sind wunderschön. Die gut ausgebaute Infrastruktur hat es möglich gemacht, auch abgeschiedenere Orte besuchen zu können.

Mit Vivian Rutsch sprach Jonas Martiny.

(aus MM 33/2017)