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Lauwarm, leicht plätschernde Wellen, langsam ins Meer abfallende Strände: Für viele Mallorcaurlauber ist das Mittelmeer eine überdimensionierte Badewanne fern der Heimat. Dass unter der türkisen Oberfläche aber beachtliche Gefahren lauern, zeigte sich vor wenigen Wochen. Häfen und Buchten der Insel wurden von einer ungewöhnlich starken Flutwelle, einer sogenannten „Rissaga” heimgesucht. Ein deutscher Urlauber ertrank, nachdem ihn eine Welle erfasst und ins Meer gerissen hatte. MM sprach mit Experten über die Gefahren, die unter der Wasseroberfläche lauern.

Was ist eine "Rissaga"?

Mit diesem Begriff werden die tsunamiähnlichen Flutwellen auf den Balearen bezeichnet, die entstehen, wenn sich der Meeresspiegel kurzfristig absenkt und das Wasser anschließend mit voller Wucht zurückströmt. Anders als ein Tsunami hat diese Welle aber keine seismischen Ursachen, sondern wird durch schnelle Luftdruckschwankungen ausgelöst. „Diese Schwankungen übertragen sich bei bestimmten Bedingungen auf den Meeresspiegel”, sagt María Guerrero, Regionalchefin der Wetterbehörde AEMET. Das führt dazu, dass sich Buchten oder Hafenbecken in kürzester Zeit leeren, um sich danach ebenso schnell wieder zu füllen. „Das ganze Phänomen dauert nur zehn Minuten”, ergänzt Guerrero. Die Mini-Tsunamis sind nicht auf die Balearen beschränkt. In Deutschland heißt das Phänomen „Seebär” und tritt an Nord- und Ostseeküste auf.

Wann entsteht die Welle?

Voraussetzung sind meteorologische Faktoren wie ein bewölkter Himmel, manchmal gepaart mit leichten Regenfällen. „Hinzu kommen warme Luftmassen in 1000 bis 1500 Meter Höhe, die normalerweise im Frühling oder Sommer aus Afrika auf die Balearen strömen”, sagt Guerrero. Überlagert wird das Ganze von starken Südwinden in einer Höhe von etwa 5000 Metern. Hinzu kommen spezielle geographische Bedingungen. Besonders starke Wirkung entfaltet eine „Rissaga” bei geringer Wassertiefe und weit ins Land hinreichenden Meeresarmen. Ein Paradebeispiel dafür ist der Hafen von Ciutadella auf Menorca. „Im Juni 2006 erreichten die Pegelschwankungen hier vier Meter”, berichtet Guerrero.

Wie oft entsteht das Phänomen?

Ein bis zweimal jährlich ist damit zu rechnen. „Eine extreme „Rissaga”, wie wir sie jetzt auf Mallorca erlebt haben, kommt aber höchstens alle zehn Jahre vor”, sagt Guerrero.

Wie hoch werden die Flutwellen?

Auf Mallorca schwankte der Wasserstand um einen halben bis einen Meter. Relativ schwach ausgeprägt war die „Rissaga” in Palma mit Schwankungen von 50 Zentimetern, in Alcúdia betrugen sie 60 Zentimeter, in Andratx 77 Zentimeter, in Porto Cristo sogar einen Meter. Am stärksten ausgeprägt war sie aber mit 1,5 Metern in Ciutadella auf Menorca.

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Wie gefährlich sind sie?

Im Hafen liegende Boote prallen durch das abfließende Wasser auf den Meeresgrund. Wenn das Wasser wieder ansteigt, besteht die Gefahr, dass sich schlecht vertaute Boote vom Liegeplatz losreißen und havarieren. Dies ließ sich in Andratx, Es Caragol und Sant Elm beobachten.

Führte die "Rissaga" zum Tode des Urlaubers?

Allerhöchstens indirekt, meint Guerrero. Im Zuge der „Rissaga” kommt es zu unruhigem Wellengang und damit zu Risiken für Badende oder Menschen, die sich in Küstennähe aufhalten. „Sich brechende Wellen haben schon in knöcheltiefem Wasser eine unglaubliche Kraft”, sagt Carlos de España, Präsident des balearischen Verbandes der Rettungsschwimmer. Das unterschätzen die meisten. Auch wenn Wellen auf Menschen einen enormen Reiz ausüben und viele sich ihnen nähern, etwa, um sie vom Ufer aus zu fotografieren, rät de España, ihnen bei rauer See unbedingt fernzubleiben.

Was tun, wenn jemand von einer Welle ins Meer gerrissen wird?

De España empfiehlt, eigene Rettungsversuche möglichst nur mit einem Schwimmring zu unternehmen, an dem sich Retter und die in Not geratene Person festhalten können. „Ohne solche Hilfsobjekte kommt es nicht selten vor, dass die Retter am Ende selbst ertrinken”, sagt er.

Und wenn man von der Strömung ins Meer gezogen wird?

Unbedingt die Nerven behalten, sich treiben lassen und um Hilfe rufen, lautet der Tipp des Rettungsschwimmerchefs. „Alles andere führt dazu, dass man seine Energie sehr schnell verbraucht”, erklärt er. Strömungen ändern sich übrigens je nach Wellengang. Doch es gibt eine Faustregel, um sie zu erkennen: „Mitten in den Wellen ist es sicher. Dort, wo das Wasser ruhig ist, befinden sich die gefährlichen Strömungen”, erklärt der Rettungsprofi.

(aus MM 29/2018)