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Hallo”, „qué tal?”, „guten Tag”, „bon dia”, „wie geht’s?” – man kommt kaum heraus aus dem Grüßen, wenn man an einem Sonntagvormittag auf einem der besonders populären Wanderwege Mallorcas unterwegs ist. So viele Menschen sind dort dann anzutreffen, dass es mitunter den Anschein hat, man befinde sich auf dem Borne mitten in Palma und nicht im Tramuntana-Gebirge.

Erst klappern ein paar Rentner in bunter Funktionskleidung mit ihren Wanderstöcken übers Pflaster, dann lärmt eine Gruppe Heranwachsender durchs Unterholz. Ein frei laufender Hund hat die Fährte eines Kaninchens aufgenommen, ein Bergradfahrer rast um die Kurve. Am Grillplatz ganz in der Nähe breitet eine Gruppe Kolumbianer Berge Fleisch auf einem Tisch aus. Der mitgebrachte Lautsprecher dröhnt.

„Das Problem ist, dass sich die Zahl der Leute im Tramuntana-Gebirge in den vergangenen Jahren verzehnfacht hat”, sagt Xisco Colom. „Waren auf manchen Wegen früher 30 Leute pro Woche unterwegs, sind es jetzt 300.” Colom, der aus Sóller stammt und auch dort lebt, ist Vorsitzender des balearischen Bergsteigerverbandes und kennt das Tramuntana-Gebirge schon seit seinen Kinderjahren.

Er sieht weniger den wachsenden Wandertourismus als Problem. „Die meisten Leute, die von außerhalb zum Wandern kommen, verhalten sich beispielhaft”, sagt er. „Diese Art Urlauber sind sehr umweltbewusst.” Problematischer sei, dass im Herbst, Winter und Frühjahr, wenn es an den Stränden kalt und windig wird, Zehntausende Inselbewohner eine alternative Freizeitbeschäftigung suchen – und am Wochenende dann eben häufig in die Berge wollen.

„Jährlich kommen vielleicht 350.000 Wandertouristen”, schätzt Colom: „Die verteilen sich aber auf fünf bis sechs Monate.” In Palma dagegen brechen jedes Wochenende Tausende Einheimische ins Gebirge auf. „Für die Massifizierung dort oben sorgen wir schon ganz alleine”, sagt Colom. Besonders heftig wird es wieder, wenn am letzten November-Wochenende der Ultra-Berglauf Tramuntana Travessa ansteht. Dann werden aller Voraussicht nach mehr als 500 Extremsportler kreuz und quer durch Mallorcas Berge rennen.

Damit ist die Veranstaltung aber immer noch deutlich kleiner als der Vorgänger-Event. Beim Ultra-Trail waren Jahr für Jahr weit mehr als 1000 Teilnehmer an den Start gegangen – zum Unmut der Umweltschützer. Xisco Colom hält ein Teilnehmerfeld von bis zu 500 Personen für vertretbar. „Alles, was darüber liegt, führt zur Erosion der Wege”, sagt er. Die Tramuntana Travessa wird nun von mehreren balearischen Bergsteigerclubs veranstaltet und findet nicht mehr im Frühjahr statt, sondern im Herbst. „Das ist wichtig, weil so die Vögel nicht beim Brüten gestört werden”, sagt Colom.

Generell funktioniert das Nebeneinander von Bergsport und Naturschutz nicht immer reibungslos. So klagen Bergsteiger, dass sie für bestimmte Aktivitäten stets eine Genehmigung beantragen müssen – fürs Klettern und fürs Canyoning. Das liegt daran, dass die Tramuntana in ihrer Gesamtheit unter Naturschutz steht (außerdem ist sie Unesco-Welterbe). Manche Gegenden des Gebirges sind komplett für die Öffentlichkeit gesperrt, andere nur unter strengen Auflagen zugänglich.

Hin und wieder kann man es verstehen: Denn es ist durchaus nichts Ungewöhnliches, am Rande besonders beliebter Wanderstrecken Müll und sonstige Hinterlassenschaften der bergbegeisterten Städter zu finden – allen Kampagnen des Inselrats zum Trotz. Gerade auf Grundstücken, die in Privatbesitz sind, sorgt das schon mal für böses Blut.

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Und in Privatbesitz befindet sich nun einmal der allergrößte Teil der Tramuntana – es sind wohl mehr als 90 Prozent der Gesamtfläche. Diese Tatsache – die für viele Wandertouristen schwer nachvollziehbar ist – hat historische Gründe: Nach der Eroberung der Insel im 13. Jahrhundert verteilte König Jaume I. sämtliche Ländereien an seine Untergebenen, die ihm bei seinem Kriegszug zur Seite gestanden hatten. Auf diese Weise wurde die gesamte Insel quasi „privatisiert”. Stellenweise ziehen sich die Begrenzungsmauern, die den einen Besitz vom anderen trennen, kilometerweit über Bergrücken, durch Täler bis auf den höchsten Gipfel.

Das alles wirkt bis heute nach: Nur an wenigen Stellen gingen Ländereien im Laufe der Jahrhunderte in den Besitz der Allgemeinheit über, erst in den vergangenen Jahrzehnten begann die öffentliche Hand, emblematische Landgüter aufzukaufen und öffentlich zugänglich zu machen.

Die Beschwerden der Grundeigentümer kennt Colom genau. Oft genug landen sie auf seinem Schreibtisch. Das Problem ist häufig, dass es heute geradezu unmöglich ist, ein historisches Landgut im Gebirge rentabel zu betreiben – in Zeiten, in denen weder Oliven und Orangen viel, noch Kalk, Kohle oder Eis überhaupt etwas einbringen.

Eine der wenigen Möglichkeiten, etwas Geld einzunehmen, ist die Jagd. Also verpachten viele Landbesitzer das Jagdrecht. Wenn dann aber sonntagmorgens schon die Wandersleute durch den Wald marschieren, nimmt jedes Karnickel und jede Wachtel Reißaus – die Jäger kommen nicht zum Schuss. Colom: „Viele Grundeigentümer sagen mir: Warum geht ihr nicht nach zehn los? Dann sind die Jäger längst fertig mit ihrer Arbeit.”

Ein weiteres Ärgernis: Wandergruppen mit Führer, der Geld für seine Dienste nimmt. „Da fragen sich viele Landbesitzer: Wieso soll ich denen meine Ländereien gratis zur Verfügung stellen und die machen da Reibach damit?”, sagt Colom. Und so passiert eben, was jeden nicht ortskundigen Wanderer verwundert, der auf den Massanella steigen will: Mitten im Wald steht dort eine kleine Holzhütte, in der ein Wächter von jedem Passanten Eintritt kassiert.

Trotz all dieser Schwierigkeiten: Xisco Colom sieht noch ein weiteres Problem, das er für besonders wichtig hält. Die mangelhafte Ausschilderung der Wanderwege. „Es ist nun einmal so, dass die meisten Leute, die in die Berge fahren, keine Pfadfinder sind oder Abenteurer vom alten Schlag”, sagt er. „Das sind Städter, die die Natur genießen wollen.” Und dafür müssen sie wissen, wo sie langlaufen sollen.

Selbst auf vielen öffentlichen Landgütern seien bei Weitem nicht alle Routen ausgeschildert, sagt Colom. Meist wiesen Schilder nur auf die Trockensteinroute hin, auf nichts anderes. Der alte Wanderweg von Palma nach Puigpunyent etwa sei für jemanden, der sich nicht auskennt, überhaupt nicht zu finden – und das, obwohl es sich um einen der historischen, öffentlichen Wege handelt. In vielen Fällen scheuten die Gemeinden, Wege wie diesen in ihre offiziellen Verzeichnisse aufzunehmen und entsprechend zu beschildern, weil sie damit auch die Verantwortung für die Instandhaltung übernehmen müssten. „Dafür fehlt vielen Gemeinden schlicht und einfach das Geld”, sagt Colom.

(aus MM 43/2019)