Der Psychologe Mario Scheib.

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Mallorca Magazin:Während der Ausgangssperre sind fast nur Besuche im Supermarkt oder beim Arzt erlaubt. Welche Herausforderungen bringt die wochenlange Isolation für die Menschen mit sich?

Mario Scheib:Menschen sind von Natur aus soziale Wesen. Fürs Alleinsein sind sie im Grunde nicht geschaffen. Andererseits kann man sich an die Isolation von anderen durchaus gewöhnen, wie das Beispiel von Einsiedlern zeigt.

MM:Ist der „Hausarrest" für Alleinlebende oder Paare und Familien leichter zu bewältigen?

Scheib:Das kann man pauschal nicht sagen. Wer an ein zurückgezogenes Leben gewöhnt ist, kann leichter mit dieser Situation umgehen. Es kommt eben ganz auf den gewohnten Lebensstil an. Als kontaktfreudigem Menschen fällt einem die Isolation daheim schwerer. Paare und Familien wiederum hocken nun permanent aufeinander, ohne die Pausen, die sonst durch den Job und Freizeitaktivitäten entstehen. Das kann positiv sein, aber auch latente Konflikte zum Ausbrechen bringen.

MM:Was raten Sie Menschen, bei denen die Situation zu Hause eskaliert, oder die sich überfordert fühlen?

Scheib:Sie sollten Hilfe annehmen. Es gibt Hotlines vom Inselrat und von der Balearen-Regierung in Spanisch und Katalanisch. Unsere Klinik und auch andere Psychologen haben ihr Angebot während der Coronakrise komplett auf Online-Therapie umgestellt. Wir bieten auch Paarberatung per Videokonferenz und kostenlose Kriseninterventionen für medizinisches Personal an.

MM:Und wenn sich die Kinder zu Hause langweilen?

Scheib:Wenn Kinder den ganzen Tag zu Hause sind, müssen Eltern kreativ werden. Viele wissen gar nicht mehr, wie man zusammen spielt. Jetzt bietet sich eine Chance, das wieder zu lernen. Und statt den Nachwuchs einfach vor den Fernseher zu setzen, sollte man sich lieber im Internet umschauen. Da gibt es eine Menge gut gemachter, lehrreicher Videos für Kinder.

MM:Wie kann man sich den „Hausarrest“ angenehmer gestalten?

Scheib:Körperliche Aktivität ist ganz wichtig. Viele Sportkurse werden jetzt online, beispielsweise per Youtube-Video, angeboten. Oder laufen Sie einfach die Treppe rauf und runter. Menschen brauchen Bewegung, das hilft gegen Depressionen und Ängste.

MM:Und was tun, wenn man sich einsam fühlt?

Scheib:Telefongespräche und die sozialen Medien helfen, in Kontakt mit Freunden zu bleiben. Für manche Jugendliche scheint das auch sonst der wichtigste Weg der Kommunikation zu sein. Ich beobachte, wie sie im Café sitzen und mit ihren Handys beschäftigt sind, ohne viel zu reden. Oder man kann über den Balkon mit seinen Nachbarn sprechen und beim abendlichen Applaus für die Ärzte und Schwestern mitmachen.

MM:Welche Persönlichkeitstypen überstehen diese Zeit am besten?

Scheib:Stabile, resiliente Personen. Das hat man auch bei Menschen beobachtet, die sich in Isolationshaft befanden. Auf der anderen Seite können durch die Isolation psychische Probleme aufbrechen. Auch die Versuchung nach Drogen oder Alkohol kann mit zunehmender Langeweile steigen. Da ist es wichtig, sich ein Limit zu setzen.

MM:Sehen Sie auch Chancen durch die Isolation?

Scheib:Ja, suchen Sie Ablenkung vom Informations-Overkill und legen Sie stattdessen den Fokus auf etwas anderes. Starten Sie neue Projekte, lernen Sie etwas Neues, das Internet bietet viele Möglichkeiten. Ich stelle gerade meine Ärztefortbildungen, die demnächst in Palma stattfinden sollten, auf Online-Unterricht um, plane Videokonferenzen und Unterrichtsmaterial. Das macht mir viel Spaß, ich will gar nicht rausgehen.

MM:Gehen Spanier und Deutsche unterschiedlich mit der Ausgangssperre um?

Scheib:Bei den Spaniern ist der Familienzusammenhalt in der Regel größer, häufig wohnen auch mehr Personen unter einem Dach, als das bei Deutschen üblich ist. Das kann mehr Ablenkung und Spaß, aber auch mehr Konflikte und Ansteckungsgefahr bedeuten.

MM:Wie sieht Ihr Blick in die Zukunft aus?

Scheib:Die Ausgangssperre ist eine einmalige, nie da gewesene Situation und auch eine Möglichkeit der Selbsterforschung. Von daher wäre diese Zeit künftig sicher eine Studie wert. Und auf jeden Fall ist diese Krise überstehbar.

Die Fragen stellt MM-Redakteurin Maike Schulte