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Daumen und Zeigefinger von Michael Krümmels linker Hand berühren sich an den Fingerspitzen, während Mittel-, Ring- und der kleine Finger gestreckt bleiben. Der Tauchlehrer zeigt seinen beiden Tauchpartnern das „Alles Okay”-Zeichen. In diesem Fall ist es eine Frage, die seine Kompagnons sofort mit „Ja” beantworten, indem sie die Geste wiederholen. Direkt im Anschluss zeigt Krümmel mit dem Zeigefinger auf zwei gelbliche Flecken, die sich am Meeresgrund unweit der Taucher in der Strömung hin- und herbewegen. Es sind zwei Sternschnecken, die ihre Bahnen durch das Hafenbecken von Port d’Andratx ziehen. Eine der beiden Nacktkiemer wirkt gesund und kräftig, die andere aufgedunsen und krank. Michael Krümmels zeigt auf Letztere und wiegt die geöffnete Handfläche waagerecht im Wasser hin und her. In der Zeichensprache der Taucher bedeutet diese Geste, dass etwas nicht in Ordnung ist. Einige Minuten zuvor in der Tauchbasis der „Balear Divers” unweit vom Hafen, hatte der Auswanderer erklärt: „Wir finden hier im Hafenbecken immer wieder auch kranke Tiere. Natürlich können wir nicht mit Sicherheit sagen, woran sie leiden, aber eine naheliegende Erklärung sind die Schadstoffe im Wasser.”

Die sieben Taucher, die ihr Equipment an diesem Tag auf den Tauchgang vorbereiten, wissen, dass es in den nächsten 30 bis 45 Minuten nicht um die Schönheit des Mittelmeeres, sondern um die von Menschen gemachten Verunreinigungen im Hafenbecken gehen wird. Die Taucher haben neben dem üblichen Tauchgerät jeweils eine Art Seesack dabei, in den sie die „Fundstücke” packen wollen, um sie so leichter sammeln und an Land bringen zu können. Als sie schließlich gemeinsam abtauchen, dauert es nur einige Atemzüge lang bis zur ersten Sichtung. Ein Tintenfisch umklammert den unteren Teil eine zerbrochene Champagnerflasche. Für den Kopffüßler ist es ein Spielzeug. Dabei passiert es immer wieder, dass sich die intelligenten Weichtiere an den scharfkantigen Bruchstellen verletzen oder gar Gliedmaßen abtrennen.

Um dem Tier das kaputte Glas aus den acht Armen zu winden, müssen die Taucher deshalb besonders vorsichtig sein. Während der Trennungsaktion kommen zwei andere Taucher vom Team in Sichtweite. Einer der beiden schleppt eine augenscheinlich sehr schwere Auto- oder Schiffsbatterie mit sich. Der andere schaut durch einen alten Autoreifen und grüßt mit dem „Alles Okay” Zeichen. In den nächsten 20 Minuten finden die Taucher mehr Unrat, als sie in ihre Säcke packen oder mit den Händen an Land tragen können. Zurück in der Tauchbasis der „Balear Divers” zieht Besitzer Michael Krümmel Bilanz: „Wir haben ungefähr 100 Kilo Müll gesammelt. Wären wir mehr Leute gewesen hätten wir auch eine Tonne Müll aus dem Hafenbecken herausholen können.”

Während die Taucher ihr Equipment mit Süßwasser abspritzen und die dicken Neoprenanzüge von den Körpern schälen, betrachten sie ihre Ausbeute. Neben der Batterie und dem Reifen liegen die gefüllten Seesäcke. Darin finden sich Unmengen an zerbrochenem Glas, kleineren Plastikteilen, Handtüchern, Geschirr und Plastikflaschen. Die großen Fundstücke an diesem Tag sind Fiberglas-Teile von Booten, alte Kunststoffseile, Zinkanoden, ein Teppich, Schläuche und eine Außenbord-Motorabdeckung.

Das größte Fundstück, ein alter Schiffsmotor, blieb im Hafenbecken. „Es ist teuer, einen Motor zu entsorgen, deshalb kommt es immer wieder vor, dass die Dinger einfach versenkt werden.”, erklärt Krümmel. Dadurch wird so ein Motorblock zu einer künstlichen Behausung für allerlei Meeresbewohner. „Das Problem ist, die Blöcke müssen vorher gründlich gereinigt werden. Also Schmierstoffe und Benzin müssen raus. Und das machen die wenigsten. Wenn wir Müll bergen, der sehr lange auf dem Grund liegt, sieht man richtig, was sich da für eine schwarze Pampe drunter gesammelt hat. Der Boden im Hafenbecken ist im Prinzip ölverseucht,” ergänzt Krümmel.

Ein Reifen, der vielleicht als Fender gedient hat und vom Boot losgerissen wurde. Eine Motorabdeckung, die nicht richtig geschlossen wurde und vielleicht deshalb abgefallen ist. Eine Champagnerflasche, die auf der Reling stand und durch das Schaukeln des Bootes ins Wasser fiel ... Bei vielen der Fundstücke an diesem Tag ist zumindest nicht auszuschließen, dass sie versehentlich im Wasser gelandet sind. Aber selbst wenn sich keine böse Absicht unterstellen lässt – zumindest eine gehörige Portion Unachtsamkeit war wohl der Grund dafür.