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Der Kellner lächelt freundlich. "Nach Colònia de Sant Pere? Ganz einfach: Aus Artà herausfahren Richtung Can Picafort. Nach fünf Minuten rechts abbiegen und der Küste entgegenfahren. Aber da müsste es auch ausgeschildert sein." Er hat recht. Die Berge der Sierra de Artà, die die Landstraße nach Colònia de Sant Pere säumen, beeindrucken. Zugegeben: Kein Vergleich zur Tramuntana, aber für den sonst weniger bergigen Osten der Insel durchaus ein Hingucker. Kleine Privatwege gehen von der Landstraße ab, Auffahrten zu großen Fincas auf noch größeren Grundstücken. Ansonsten ist da nur Natur. Nach wenigen Minuten kommt das Meer in Sicht und vor ihm ein kleines Dörfchen mit orangefarbenen Dächern.

Dumpf schlägt die Kirchturmuhr auf dem zentralen Platz von Colònia de Sant Pere zur vollen Stunde. Ein Vogel zwitschert und flattert davon. Dann ist nur noch eines zu hören: Stille. Es ist Freitagnachmittag, die Sonne scheint warm auf die kleinen Häuser. Die meisten sind nur ein Stockwerk hoch, manche haben zwei Etagen. Der alte Kirchturm überragt alles. Keine Bar, kein Café oder Touri-Laden, nur einen kleinen Supermarkt gibt es an dem Platz im Dorfzentrum.

Gut zwölf Stunden später wird sich der Platz in einen Markt verwandeln, so, wie jeden Samstagmorgen. Zwei Obst- und Gemüsestände, zwei Stände mit Kleidung und zwei mit mallorquinischen Spezialitäten. Mehr braucht es nicht in "La Colònia".

Margarita Munar parkt ihr Auto in einer angrenzenden Straße. "Abschließen muss ich hier nicht", sagt sie gelassen. Munar ist Ortsvorsteherin von Colònia de Sant Pere. Sie vertritt das kleine Küstendorf im Rathaus der Stadt Artà, und sie war es auch, die den Markt vor knapp zehn Jahren ins Dorf geholt hat. "Es hat sich vieles geändert hier. Als ich hergezogen bin, gab es keinen Strom und nur ein Telefon im ganzen Dorf." Das ist allerdings auch schon 46 Jahre her. Damals heiratete Munar ihren Jerónimo, einen gebürtigen Colonianer.

Auf einer Bank neben der Kirche sitzt Francisca Cursach. Auch sie erinnert sich noch an andere Zeiten. Zeiten, in denen der Dorfplatz noch eine Pferdewiese war und eine Reise nach Artà zwei Stunden dauerte. Cursach wurde 1933 in Colònia de Sant Pere geboren, sie ist die älteste Ursprungs-Colonianerin des Dorfes. "Bis heute fühle ich mich wohl hier", sagt sie und setzt das entspannt-gutmütige Lächeln auf, das vielen alten Mallorquinern zu eigen ist.

Heute gibt es Strom, Straßen, Telefone und sogar einen Arzt, eine Apotheke und eine Grundschule im Dorf. Nur eines sucht man in Colònia de Sant Pere vergebens: Hotels. Es gab mal eins, erinnert sich Munar, aber das habe nicht gut funktioniert. Wer hier hinkommt, der suche nicht den typischen Hotelurlaub, sondern vor allem eines: Ruhe. "Für junge Leute ist es hier wie ein Schlafzimmer, aber wir mögen die Ruhe", betont Munar. "Wir", damit meint sie sich und die anderen Dorfbewohner, im Winter etwa 400 Personen. Ob sich hier jeder kenne? "Kennen ist gut", Munar lacht. "Hier ist fast jeder mit jedem verwandt." Jeden Sommer kämen mehr Menschen von außerhalb, verrät sie. "3000 bis 4000 Touristen waren es diesen Sommer, das hatten wir noch nie." Die meisten wohnen in Ferienhäusern im Dorf oder aber in einer der zwei angrenzenden Siedlungen, S'Estanyol und Betlem. S'Estanyol hat sogar ein Hotel.

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Munar schließt die Tür des Kulturzentrums gegenüber der Kirche auf. Hier treffen sich die Colonianer ab und an. "Manchmal werden hier Theaterstücke aufgeführt oder wir halten Sitzungen ab", sagt sie und deutet auf die kleine Bühne in dem überschaubaren Saal des Kulturzentrums. Er ist geschmückt mit Bildern, die meisten zeigen das Dorf: den kleinen Hafen, den noch kleineren Strand, den Paseo Marítimo. Dort gebe es eine Handvoll Restaurants und einen zweiten Supermarkt, berichtet sie.

Wenig später drückt sie dem Besitzer desselben zwei Küsschen auf die Wangen - die Wege in Colònia de Sant Pere sind kurz, vom Kirchplatz zum Hafen dauert es gerade mal fünf Minuten. 18 Jahre ist es nun schon her, dass Bernat Capó den Laden am Hafen übernommen hat. Leicht schaukeln die Segelboote in der Einfriedung der langen Natursteinmauer, die weit ins Meer hinausragt. Capó ist mit dem Standort seines Supermarktes zufrieden. Früchte, Grundnahrungsmittel, Badeutensilien und eine beträchtliche Auswahl an Wein hat Bernat im Sortiment. Anders als der Supermarkt am Kirchplatz richtet er sich nach der touristischen Hauptsaison und hat nur von März bis Oktober geöffnet. "Die meisten, die hier hinkommen, sind Deutsche, aber es kommen auch Engländer, Franzosen und Mallorquiner aus anderen Orten der Insel", weiß er. Vor allem Familien mit Kindern oder Rentner zöge es immer wieder in die Natur. "Viele wohnen in Fincas abseits des Dorfes. 70 Prozent der Kunden sind Stammgäste hier."

Einer von ihnen ist Volker Hirschmann. Der 71-Jährige macht bereits zum fünften Mal hier Urlaub, oder besser gesagt in der Siedlung Betlem. "Ich suche diesen Likör", sagt er und zeigt Capó einen Zeitungsartikel aus dem Mallorca Magazin, in dem eine Wallnussspezialität angepriesen wird. Da muss Capó passen. "Versuchen Sie es mal in Artà, das ist nur zehn Minuten von hier." Hirschmann lässt sich die gute Laune davon nicht trüben. "Ich komme ja extra wegen der Ruhe hierher. Es gefällt mir, dass es hier nicht so touristisch ist. Und die Leute sind trotzdem nett und freundlich."

Wenige hundert Meter weiter liegen Anja und Andreas aus Neuss am Strand. "Es ist eher ein Strändchen", sagt Anja und deutet lachend auf den überschaubaren Sandstreifen. "Aber umso besser, dann haben wir Niklas immer im Blick." Ihr kleiner Sohn grinst schelmisch. "Und mehr Platz als an anderen Stränden Mallorcas, an denen sich zig Hotels aneinander reihen, haben wir hier allemal", ergänzt Andreas. Tatsächlich kann von Überfüllung keine Rede sein: Die junge Familie ist fast alleine am Strand.

"Im Juli und August ist hier aber mehr los, vor allem dieses Jahr", betont Rafael Pacheco. Seit 18 Jahren betreibt er das Restaurant "Blau Marí" an der Promenade. "Anfangs gab es nur uns und ein weiteres Restaurant, mittlerweile gibt es sieben." Der Österreicher Philipp Gusenbauer, der seit April als Restaurantleiter im Traditionslokal "Sa Xarxa" arbeitet, weiß, was gerade Neuankömmlinge reizt: "Hier herrscht ganz besonderes Flair. Die Sonnenstrahlen auf den Bergen erzeugen eine gewisse Magie, die es nur hier gibt." Auch wenn sich mit den Jahren einiges verändert hat - das Ziel der Besucher, da sind sich alle einig, sei das Gleiche geblieben: Ruhe und nochmal Ruhe.

(aus MM 38/2015)