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Spanien steht vor einer Zerreißprobe – im wahren Sinne des Wortes. Sollten die katalanischen Abspaltungsbestrebungen Erfolg haben, wird das den spanischen Staat, wie er heute existiert, komplett in Frage stellen. Weitere Regionen – allen voran das Baskenland – würden ihre Zugehörigkeit vermutlich ebenfalls aufkündigen.

Selbst auf Mallorca wäre dann mit einem Erstarken der separatistischen Bewegung zu rechnen, die auf der Insel bislang lediglich eine Nebenrolle spielt. Schließlich sind die kulturellen Gemeinsamkeiten mit Katalonien gewiss größer als mit den meisten anderen spanischen Regionen – schon allein wegen der Sprache.

Die Debatte kommt in jedem Fall zur Unzeit: Nicht nur Spanien, auch Katalonien hat derzeit wahrlich andere, dringendere Probleme. Zumal die Folgen vor allem für die abtrünnige Region im Nordosten des Landes noch gar nicht absehbar sind. Ein Ausscheiden Kataloniens aus der Europäischen Union, das im Falle der Unabhängigkeit als sicher gilt, wäre vor allem ökonomisch ein klarer Rückschritt. Auch für Spanien hätte die Abspaltung seiner wirtschaftsstärksten Region fatale Folgen.

Mit Härte und Kompromisslosigkeit aber sollte die Zentralregierung den Unabhängigkeitsbestrebungen tunlichst nicht begegnen. Der Klammergriff würde das katalanische Ansinnen nur noch verstärken. Das zeigt die Vergangenheit. Die einzige Möglichkeit, die separatistischen Tendenzen auszubremsen und den Fortbestand des spanischen Staates in den heutigen Grenzen dauerhaft zu garantieren, ist eine Umarmungsbewegung.

Die Zentralregierung in Madrid wird die Hand ausstrecken und den Dialog suchen müssen. Ohne weitreichende Zugeständnisse ist den Fliehkräften im spanischen Staatsgebilde nicht beizukommen. Eine Zukunft hat Spanien letztendlich nur mit einer reformierten Verfassung, die den aktuellen autonomen Regionen mehr Selbstbestimmungsrechte einräumt und den kulturellen Unterschieden zwischen den einzelnen Landesteilen Rechnung trägt.