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Es gibt wenige Werke in der Musikgeschichte, die ihre Entstehung einem Psychiater verdanken. Das zweite Klavierkonzert (c-moll, op.18) von Sergej Rachmaninow ist eines von ihnen. Der Komponist durchlebte, nachdem seine 1.Sinfonie im Oktober 1897 krachend durchgefallen war, eine schwere Schaffenskrise und verfiel in Selbstzweifel, die ihm hart zusetzten.

Vor allem die vernichtende Kritik des Kollegen und Starkritikers César Cui, Mitbegründer des sogenannten Mächtigen Häufleins, einer Komponistengruppe, die damals in Russland das Sagen hatte, verletzte ihn tief. Cui hatte nach der Uraufführung geschäumt: „Wenn es in der Hölle einen Konzertsaal gäbe und man einen Komponisten beauftragte, ein Symphonie über die Plagen Ägyptens zu schreiben, dann würde dieses neue Werk dem Auftrag in idealer Weise entsprechen…“ – Freunde überredeten Rachmaninow, sich bei dem Neurologen Nicolai Dahl gegen seine Depressionen behandeln zu lassen. Der tat dies mit Hypnose, so erfolgreich, dass er wieder an seinem zweiten Klavierkonzert arbeiten konnte – und schließlich das Werk seinem Retter widmete. Über Dahls Therapie schrieb er später: „Ich hörte die gleichen hypnotischen Formeln Tag für Tag wiederholt, während ich schlafend in Dahls Behandlungszimmer lag. ‚Du wirst dein Konzert schreiben…du wirst mit großer Leichtigkeit arbeiten…Das Konzert wird von exzellenter Qualität sein…‘ Es waren immer dieselben Worte, ohne Unterbrechung. Auch wenn es unglaiblich erscheint, diese Therapie half mir wirklich. Im Sommer begann ich zu komponieren. Das Material wuchs und neue musikalische Ideen begannen sich in mir zu regen.“

Rachmaninow hatte den zweiten und dritten Satz zuerst fertiggestellt und führte sie am 2.Dezember 1900 unter der Leitung von Alexander Siloti und mit ihm selbst am Klavier der Öffentlichkeit vor. Bereits diese fragmentarische Aufführung stieß auf Begeisterung und einhelliges Lob. Erfolg und Popularität halten bis heute an: Rach2, wie es in Fachkreisen genannt wird, ist eines der meistgespielten Klavierkonzerte, alle großen Pianisten haben es in ihrem Repertoire.

Seine Beliebtheit verdankt es vor allem seinen ganz der Romantik geschuldeten, liedhaft-melodiösen Themen, der atemberaubenden Virtuosität des Soloinstruments und der brillanten Instrumentierung des Orchesterparts.

Die acht ersten Takte des Kopfsatzes – mit Akkorden, die wie Glockenschläge zunächst pianissimo aus der Ferne tönen und sich in der Lautstärke allmählich steigern, sind neben dem berühmten Boléro von Maurice Ravel eines der berühmtesten Crescendi der neueren Musik. Wer sie einmal gehört hat, vergisst sie nicht wieder. Das erste Thema ist eine schwermütige Melodie in c-moll, von den satt besetzten Streichern vorgetragen und vom Klavier mit wirbelnden Läufen begleitet. Steigende Sequenzen sorgen für Dramatik, an den Höhepunkten setzen Große Trommel und Becken wirkungsvolle Akzente.

Der zweite Satz steht in E-dur, ruhige Arpeggien des Klaviers umspielen die melodischen Einfälle des Satzes. – Das Finale beginnt mit einem Dialog zwischen Orchester und Klavier und gipfelt in einer Coda, die dem Pianisten noch einmal alles an Virtuosität abverlangt.

Der romantische Gestus gefiel nicht allen. Manche hielten das Werk für aus der Zeit gefallen – die Avantgardisten am Beginn des 20.Jahrhunderts schlugen ganz andere Töne an. Richard Strauss sprach gar von „gefühlvoller Jauche“!

Beinahe hätte Rach2 auch noch Filmgeschichte geschrieben: der Regisseur Brian Desmond Hurst wollte Teile daraus in seinem Film „Dangerous Moonlight“ verwenden. Ob die Copyright-Inhaber das verboten oder ob die Lizenz schlicht zu teuer war, ist unklar. Jedenfalls beauftragte man Richard Addinsell mit der Komposition eines Ersatzwerkes, im Stil Rachmaninows. So entstand das Warschauer Konzert, das sich längst verselbständigt hat und sich als eigenständiges Werk großer Beliebtheit erfreut.

Zum Reinhören in Rach2 empfehle ich Ihnen die Aufführungen von Lang Lang und Khatia Buniatishvili. – Am kommenden Donnerstag spielt es Martin Garcia zusammen mit dem Sinfonieorchester der Balearen unter seinem Chef Pablo Mielgo im Innenhof von Schloss Bellver. Meine Einführung in das davor erklingende 2.Klavierkonzert von Brahms können Sie hier noch einmal nachlesen.