Margot Käßmann ist Botschafterin des Reformations-Jubiläums 2017. | Julia Baumgart, EKD

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Sonntag, 15. Oktober, 16 Uhr: Ökumenischer Festgottesdienst in der Kathedralen Palma. Im Interview mit dem Mallorca Magazin sprach Margot Käßmann als Botschafterin des Reformations-Jubiläums 2017 vorab über die Licht- und Schattenseiten von Martin Luther.

Mallorca Magazin: Frau Käßmann, welche Botschaft bringt die Reformationsbotschafterin nach Mallorca?

Margot Käßmann: Mir ist besonders wichtig, dass wir 2017 Reformation sehr anders feiern als in früheren Jahrhunderten, nämlich erstens ökumenisch - das war vor 100 Jahren undenkbar - und zweitens international. Dazu passt natürlich der ökumenische Gottesdienst in der Kathedrale von Palma sehr gut.

MM: An welchem Punkt steht die Ökumene heute?

Käßmann: Wir sind in den letzten 50 Jahren riesige Schritte gegangen. Es steht ganz klar im Vordergrund, dass uns mehr verbindet als uns trennt. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass unser Umfeld säkularer wird, und da wird klarer, was Christen gemeinsam haben. Wir leben zudem, in Deutschland zumindest, zunehmend in einem interreligiösen Kontext.

MM: Luther wollte ja kein Schisma. Sollten die evangelische und katholische Kirche wieder eine werden?

Käßmann: Das ist gar nicht mein Ziel von Ökumene, sondern versöhnte Verschiedenheit. Das werde ich in der Predigt auch noch einmal sagen. Eine Einheitskirche wäre für mich genauso wenig kreativ wie eine Einheitspartei. Das Hauptziel ist für mich, dass wir zusammen Abendmahl feiern können, trotz der Unterschiede.

MM: In der evangelischen Kirche können Frauen alle Ämter ausüben. Wie ist tatsächlich die Stellung der Frau in der EKD?

Käßmann: An der Basis, in den Gemeinden, hat sich das vollkommen normalisiert. Knapp 40 Prozent der Pfarrerschaft sind Frauen, allerdings die Hälfte davon aus familiären Gründen in Teilzeit. Das ist ein typisches Frauenthema, nicht nur in der Kirche. Aber ob in der Gemeinde ein Pfarrer oder eine Pfarrerin kommt, wird eigentlich nicht mehr groß diskutiert. An der Spitze, das muss ich sagen, haben wir nur drei Frauen, die eine Landeskirche leiten. Das dauert immer ein bisschen, bis sich das von unten nach oben durchsetzt. Das ist wie bei Konzernen. Aber die Frauenordination in der Evangelischen Kirche in Deutschland ist auch erst 50 Jahre alt.

MM: Eine Reformationsbotschafterin fällt nicht vom Himmel. Wie lange haben Sie sich vorab mit Luther intensiv beschäftigt?

Käßmann: Ich bin in einer lutherischen Familie aufgewachsen, natürlich war Luther im Studium ein großes Thema, dann war ich elf Jahre Bischöfin der größten lutherischen Landeskirche. Also Luther war für mich immer sehr präsent. Aber ich habe in den fünf Jahren als Reformationsbotschafterin schon auch noch mal neue Seiten an Luther entdeckt.

MM: Zum Beispiel?

Käßmann: Ich habe ihn vorher nicht so als Seelsorger, sondern immer als großen Redner und Prediger gesehen. Aber er hat viele Briefe hinterlassen, wo er sich wirklich seelsorglich mit Menschen auseinandersetzt. Ich denke da beispielsweise an einen Mann, der Selbstmordgedanken hat, dem er sehr sensibel rät. Diesen Luther hatte ich vorher nicht so im Blick. Und ich habe auch die negativen Seiten in dieser Arbeit stärker wahrgenommen als früher, gerade seinen Antijudaismus. Damit haben wir uns vor dem Reformationsjubiläum so intensiv auseinandergesetzt wie noch nie.

MM: War das eine schmerzhafte Auseinandersetzung für Sie?

Käßmann: Ja. Das war, denke ich, auch für unsere ganze Kirche schmerzhaft. Die Synode der EKD hat sich 2015 von seinen Judenschriften offiziell distanziert. Damit war Luther für manche auch vom Heldensockel heruntergeholt. Luther selber aber hat gesagt, dass jeder Mensch Sünder und Gerechter zugleich ist. Also, jeder Mensch hat auch Schattenseiten. Ich denke, wenn Luther heute leben würde, würde er viele Dinge anders sehen. Luther war mit einem Fuß noch im Mittelalter, mit dem anderen Fuß ist er in die Neuzeit gegangen. Wir können ihn nicht ins 21. Jahrhundert beamen.

MM: Berufen sich heute noch Antisemiten auf Luther?

Käßmann: Es gab ein NPD-Plakat im Bundestagswahlkampf, auf dem Martin Luther abgebildet war. Darauf stand: "Ich würde NPD wählen. Ich könnte nicht anders." So etwas bereitet mir natürlich Magenschmerzen.

MM: Es gibt auch Christen in der AfD. Ist das für Sie vereinbar?

Käßmann: Für mich nicht, weil ich finde, dass die Parolen von Politikerinnen und Politikern der AfD gegenüber Menschen anderer Herkunft und anderer Meinung deren Würde verletzen. Herr Gauland hat gesagt, dass er Frau Özguz in Anatolien entsorgen will. Das ist wirklich menschenverachtend, und ich meine, dass das Christen nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren können. Allerdings gibt es Menschen, die sich als "Christen in der AfD" bezeichnen, das also für vereinbar halten.

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MM: Eines der großen Themen, das die AfD auf populistische Weise aufgreift, ist der Islam in Deutschland. Wie steht die EKD zu diesem Thema?

Käßmann: Die EKD bemüht sich seit Jahren darum, den Dialog mit Muslimen zu gestalten. Bei der Themenwoche "Interreligiöser Dialog" in Wittenberg konnten Sie sehen, dass die liberalen Kräfte unter den Muslimen und den Christen sehr gut in einen Dialog kommen. Wenn ich respektiere, dass ein anderer Mensch eine andere Wahrheit über Gott gefunden hat als ich, dann ist der Dialog gut möglich. Aber Fundamentalismus will keinen Dialog. Deshalb ist unsere Aufgabe, die liberalen, dialogfähigen Kräfte in den Religionen zu stärken. Und deshalb haben wir uns als EKD auch immer für einen islamischen Religionsunterricht an Schulen eingesetzt, weil die Kinder lernen müssen, die Religion unter Schulbedingungen kritisch zu betrachten.

MM: In der Monotheismus-Debatte vertraten der Philosoph Peter Sloterdijk und der Ägyptologe Jan Assmann die These, dass die Gewalt dem Monotheismus inhärent sei.

Käßmann: Ich halte die These für falsch. Aus dem Neuen Testament können Sie keinerlei Aufforderung zur Gewalt herauslesen. Das hat schon Mahatma Gandhi gesagt. In Indien sehen Sie jetzt, wie der Hinduismus Staatsreligion werden will und alle anderen Religionen ausgrenzt. Oder sehen Sie Myanmar an, da bedrängen Buddhisten Muslime. Religion muss sich immer dagegen verwahren, dass sie sich missbrauchen lässt, Öl ins Feuer von Gewalt und von politischen und kulturellen Konflikten zu gießen. Leider lässt sie sich immer wieder dazu verführen.

MM: Kann man in der heutigen Welt den christlichen Glauben noch so kompromisslos wie Luther leben?

Käßmann: Ich denke, es ist möglich, weil Luther sehr klar gemacht hat, dass kein Mensch ein so korrektes, großartiges Leben leistet, dass es daraus gerechtfertigt ist. Denn jeder Mensch ist auch "Sünder": Jeder Mensch macht Fehler, scheitert, lädt Schuld auf sich. Aber ich finde, das Christentum ermutigt dazu, immer wieder zu versuchen, dieses Christsein zu leben. Und das ist ein großer Halt im Leben, eine große Kraft. Ich glaube auch, dass es möglich ist, als fröhlicher Christ zu leben. Gerade den Protestanten muss man das öfter sagen. Nietzsche hat mal gesagt, wenn die Christen ein bisschen erlöster aussehen würden, dann würde er vielleicht an den Erlöser glauben.

MM: Was sagen Sie einem Menschen, der nicht an die "unbefleckte Empfängnis" glauben kann?

Käßmann: Das kann ich verstehen. Für mich steht die Jungfrauengeburt so gar nicht in der Bibel. Im Jesaja-Vers, der bei Lukas zitiert wird, steht auf Hebräisch "Alma", junge Frau. Im hebräischen Denken ist die sexuelle Jungfräulichkeit gar nicht so interessant wie nachher im griechischen Denken. Im Griechischen wird das später mit "Parthenos", Jungfrau, übersetzt. Und im Matthäus-Evangelium wird die Geburt Jesu abgeleitet vom Stammbaum von Josef. Also, ob Maria eine Jungfrau war oder nicht, war für mich nie ein interessantes Thema. Bei den Katholiken ist das vielleicht ein bisschen anders.

MM: Und die Schöpfung der Welt an sieben Tagen?

Käßmann: Die Schöpfungsgeschichte ist ein wunderbares Bild. Sie ist die großartige Erzählung eines frommen Menschen, der die Schöpfung durch Gott beschreibt. Aber natürlich ist klar, dass der physikalische Vorgang nicht in sieben Tagen stattgefunden hat. Nur, ich kann das zusammendenken. Der verstorbene Physiker Hans-Peter Dürr hat gesagt, dass kein Mensch erklären kann, woher die Energie des Urknalls kam. Es gibt ja auch ein Staunen über die Welten des Kosmos, die wir überhaupt nicht kennen und entdeckt haben. Also, ich kann in der Schöpfung trotzdem göttliche Kraft sehen.

MM: Was hat die Lutherbibel, dass sie in Deutschland immer noch am weitesten verbreitet ist?

Käßmann: Luther war ein Sprachgenie. Er hat die deutsche Sprache überhaupt erst geschaffen. Ich wundere mich immer wieder, wie er auf einen Begriff wie "Geizhals" oder "Lückenbüßer" kam. Das muss man erst mal erfinden. Und diese Erfindungen sind bis heute in unserer Sprache erhalten geblieben. Luther hat bis zuletzt mit der Sprache und um die Sprache gerungen. Am Alten Testament hat er zwölf Jahre gesessen. Das muss man sich vorstellen.

MM: Was würden Sie Martin Luther sagen, wenn er heute vor Ihnen säße?

Käßmann: Ich würde ihm schon sagen, dass er in unserer Zeit in seiner Sprache mehr Respekt vor Menschen anderer Meinung lernen müsste. Ich würde ihn gerne fragen, wie er heute, in einer säkulareren Umwelt, vom christlichen Glauben reden und diese Herausforderung annehmen würde. Es war für Luther ja unvorstellbar, dass so viele Menschen gar nicht an Gott glauben.

MM: Wie nehmen Sie diese Herausforderung an?

Käßmann: Diesen Sommer hatten in Wittenberg alle Landeskirchen Orte der Begegnung. Und ich fand zwei Dinge interessant, die sich da ergeben haben. Bei den Vertretern der Württemberger Landeskirche hat das Traditionelle mit Bibelstunden und so weiter gar nicht funktioniert. Funktioniert hat ein offenes Gespräch über Gott und die Welt bei Maultaschen. Und sie haben über 10.000 Maultaschen verkauft. Zudem: funktioniert hat die Spiritualität auf dem Marktplatz. Beim Abendgebet waren ein paar Hundert Menschen, weil es kurz war, unaufgeregt und jeder sich einbringen konnte. Für mich heißt das, wir können wagen, mit unserer Spiritualität raus auf die öffentlichen Plätze zu gehen. Und brauchen Gespräche, bei denen du nicht die Hemmschwelle hast, dass du jetzt theologisch denken musst, sondern einfach mal über Gott und die Welt frei reden kannst. Und da können wir unseren Glauben einbringen.

Ökumenischer Festgottesdienst

Sonntag, 15. Oktober, 16 Uhr: Ökumenischer Festgottesdienst mit Mons. Sebastià Taltavull, Bischof von Mallorca, Pfarrerin Margot Käßmann, Reformationsbotschafterin der EKD, Rev. David Hamid, Bischof der Anglikanischen Kirche von England, Andreas Falow, Pfarrer der Deutschsprachigen Katholischen Pfarrgemeinde auf Mallorca, Heike Stijohann, Pfarrerin der Deutschsprachigen Evangelischen Gemeinde auf den Balearen.

Musikalisches Programm, gestaltet von Música Mallorca: Tohru Iguchi, Bariton, Tomeu Mut, Organist der Kathedrale von Mallorca, Posaunenchor Bad Meinberg, Bläser der Lippischen Landeskirche Detmold, Chor der Braunschweiger Friedenskirche.
Informationen zu allen Konzerten von Música Mallorca finden Sie hier.
Eintritt: frei
Ort: Kathedrale von Mallorca, Palma

(aus MM 40/2017)