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Jene Deutschen, die bereits in den 1930er Jahren vor Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges auf Mallorca lebten, bezeichneten sich und ihre Landsleute je nach Standort als Reichsangehörige, Auslandsdeutsche oder als "deutsche Kolonie". Letzter Begriff ist häufig in den zeitgenössischen Medien anzutreffen. Gesellschaftliche Zusammenkünfte, die in der Regel einmal die Woche stattfanden, wurden von den Teilnehmern "Kolonieabende" genannt. Bars wie etwa das "Morisco" am Borne, in denen solche Begegnungen stattfanden, warben ihrerseits mit Slogans, die wiederum lauteten: "Die deutsche Kolonie trifft sich im ...".

Doch die Eigenwahrnehmung der Auslandsdeutschen war nicht unbedingt eine einheitliche. Es gab durchaus Residenten, die ihre Landsleute, ihr Auftreten und ihr Gebaren auf Mallorca - gelinde gesagt - kritisch sahen. Ein Beleg dafür ist ein Dekalog, wie er von einem Autoren aufgestellt wurde, der sich selbst "Outsider", also als Außenseiter nannte. Kurioserweise wurden seine "Zehn Gebote" für korrektes deutsches Erscheinen auf der Insel in der weitgehend völkisch eingestellten Wochenzeitung "Der Herold" veröffentlicht. Dort hieß es im Oktober 1933:

1.) Führe Dich so auf, wie Du vom Ausländer erwartest, dass er sich in Deinem Heimatlande aufführen wird.

2.) Trage Dein Made-in-Germany-Etikett nicht so offensichtlich mit Dir herum: Vergiss nicht, dass selbst die Maschinen dieses Etikett meist an kaum sichtbarer Stelle tragen.

3.) Stoß Dich nicht gleich an allem und verwirf nicht gleich alles, was Dir hier komisch, unverständlich und unrichtig vorkommt: Wie in Deinem Heimatlande hat auch hier alles seinen Grund, seinen Zweck und seine Geschichte.

4.) Behalte Deine politische Einstellung ruhig für Dich, sie interessiert niemanden. Vergiss außerdem nicht, dass es Mode ist, die Einstellung nach dem Wind zu richten, Du also die Wahrheit doch nicht erfährst.

5.) Gründe auf keinen Fall einen Verein, selbst wenn Du schon zwei Mitglieder in Aussicht hast.

6.) Leih nie Dein Ohr und Deinen Mund dem Kolonie-Klatsch: 90 Prozent ist meist erlogen und erdichtet, oder zumindest ganz anders passiert, als man es Dir zugetragen hat.

7.) Sag nicht immer gleich, dass zu Hause alles besser, alles schöner und alles herrlicher ist: Denn jeder halbwegs Vernünftige muss sich dann fragen: Was machst Du eigentlich hier?

8.) Schreibe über die hiesigen Verhältnisse in punkto Naturschönheiten, Klima und Lebensweise der Inselbewohner nicht gleich am Tag Deiner Ankunft nach Hause: Du selbst änderst Dein Urteil schon in den nächsten Tagen.

9.) Wenn Du ein paar Sechser hast: werde nicht gleich Geschäftsmann. Überlege Dir das Selbstständigwerden x-mal. Vergiss nicht, dass die meisten mit weniger die Insel verlassen haben als sie ankamen.

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10.) Wenn es Dir hier aus diesem oder jenem Grunde nicht gefällt, dann tust Du Allen (Einheimischen und Ausländern) den besten Gefallen, wenn Du schnellstens Dein Köfferchen packst und gehst: Unterlass aber das Schimpfen und das Indendreckziehen ... und vergiss nicht, vor Abfahren Deine Schulden zu bezahlen.

In seinen "Aphorismen" kritisiert der "Outsider" Verhaltensmuster, wie sie auch in heutiger Zeit bei so manchem Mallorca-Residenten Anlass für Beanstandungen geben würden. So zieht der Autor zu Felde gegen Besserwisser, Wichtigtuer, Aufschneider, Schaumschläger, aber auch gegen Meckerer und Miesmacher, die der Insel offenbar keine positiven Seiten abgewinnen können.

Der selbst ernannte Außenseiter scheint seinerseits ein großer Mallorca-Verehrer gewesen zu sein, der nichts auf "seine" Insel kommen lassen wollte. Auch warnt er indirekt vor halbseidenen Geschäftsleuten und Betrügern, die mit unlauteren Versprechen Schaden anrichten, um dann klammheimlich von der Insel zu verschwinden. Die Gebote des teutonischen Dekalogs scheinen von ihrem Gehalt her zeitlos zu sein.

Offenbar wurden die Ansichten des Outsiders jedoch nicht von all seinen Landsleuten geteilt. So manchem dürfte die Kritik an den Vertretern des eigenen Volkes zu weit gegangen sein. Möglicherweise beschuldigten sie den Autoren indirekt der "Nestbeschmutzung" und der Schädigung des deutschen Ansehens. Zumindest in der folgenden Wochenausgabe des "Herold" erschien ein weiterer Leitspruch. Er war gestalterisch deutlich hervorgehoben und rief den Lesern explizit ihr Deutsch-Sein in Erinnerung:

Auslandsdeutscher, bedenke immer, dass das Wohl und Ansehen Deines Vaterlandes letzten Endes auch Dir hier draußen zu Gute kommt. Vergiss deshalb nicht, wenn es in Deinen Kräften steht, Deinem Vaterlande zu helfen, die Not zu lindern.

Der Appell zur Hilfsleistung hatte einen konkreten Hintergrund: Der NS-Staat hatte seinerzeit propagandistisch das Winterhilfswerk ins Leben gerufen. Auch auf Mallorca sammelte das deutsche Konsulat hierfür Geld- und Sachspenden, um bedürftige "Volksgenossen" in der kalten Heimat zu unterstützen. Im Dezember 1933 veröffentlichte der "Herold" im Namen des Konsulats folgenden Aufruf:

Deutsche, helft alle einmütig mit bei dem großen Werk! Denkt an das Ziel: im kommenden Winter soll kein Deutscher hungern und frieren!

Organisiert gewesen waren politisch engagierte Deutsche im Ausland schon vor der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler. Der "Bund der Auslandsdeutschen" (BdA) etablierte sich bereits 1919 und zählte Mitglieder auch in Spanien. Mitte 1933 stellte die Vereinigung in einem öffentlichen Aufruf auf Mallorca kategorisch klar, welche neuen Zeiten angebrochen waren. In dem Pamphlet von damals war zu lesen:

Inzwischen hat das deutsche Volk seine Kraft bewiesen und unter Führung Adolf Hitlers ein neues arbeitswilliges, gesundes Deutschland aufgebaut. Für alle Deutschen draußen ist es Ehrenpflicht, nunmehr mit doppelter Liebe zur Heimat sich in den nationalen Dienst einzureihen. (...) Die Vereine und Verbände müssen dem Auslande ein Spiegelbild der in der Heimat erreichten deutschen Einigkeit geben.

Mit den weithin bekannten Folgen ...

(aus MM 41/2017)