Der runde Turm in Son Fornés war einst zweistöckig und bestand aus 2000 Tonnen Stein. | Foto: Ultima Hora

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Geht es nach der spanischen Regierung, werden die Balearen bald ein weiteres Weltkulturerbe haben. Mitte März hat sie bekannt gegeben, im kommenden Jahr bei der Unesco mit dem "Talaiotischen Menorca" vorstellig zu werden. Auch auf Mallorca hat die prähistorische Talaiot-Kultur zahlreiche Zeugnisse hinterlassen, die offen für jedermann frei in der Landschaft stehen.

Talaiots, so heißen die gigantischen Bauten der Bevölkerung, die im ersten vorchristlichen Jahrtausend auf der Insel lebten. Ihr Name leitet sich vom arabischen Wort atalaji, Wache, ab. Denn die Talaiots waren Türme aus riesigen Steinblöcken, die ohne Mörtel aufeinander geschichtet wurden. Die einzelnen Blöcke waren behauene Felsen, die auf Baumstämmen zum Bauplatz gerollt wurden. Mit Rampen aus aufgeschütteter Erde wurden sie dann emporgehievt.

Eine der besterhaltenen und bedeutendsten talaiotischen Siedlungen ist Son Fornés bei Montuïri. Dort legen Archäologen seit Jahren Gebäudereste frei - eben so, wie es gerade die öffentlichen Mittel erlauben und auch die Grundverhältnisse: Kein Bauer lässt sich gerne von Wissenschaftlern den Acker umgraben.

Immerhin wurden in Son Fornés zwei Turmreste und zahlreiche Gebäude freigelegt, die auch einige Rückschlüsse auf eine weitgehend unbekannte Kultur zulassen. Am beeindruckendsten ist Talaiot Nummer eins, der ursprünglich zweistöckig war. Fünf Meter dick und 3,5 Meter hoch sind seine Mauern, der Durchmesser beträgt 17 Meter: Das ergibt 2000 Tonnen gemauerte Geschichte. Wer gelenkig genug ist, kann gebückt durch einen niedrigen Gang ins Innere gelangen. Typisch für jeden Talaiot ist die mächtige Säule in der Mitte des Raumes. Sie diente als Stütze für die Deckenbalken.

Fundstücke wie Tierreste und Keramik verraten es: Diese Talaiots waren keine Wohngebäude. Turm Nummer eins wurde für die Verarbeitung von Schweine- und Rindfleisch benutzt, Turm Nummer zwei für kultische oder politische Versammlungen. Ihre Häuser bauten die Bewohner der Siedlung um die Türme herum. Auch diese Gebäude hatten eine Säule, die das Dach aus Olivenbaumstämmen- und ästen trug.

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Funde deuten darauf hin, dass die Talaiot-Menschen ein relativ friedliches Völkchen war, die von Vieh- und Landwirtschaft sowie von Tauschhandel untereinander lebten. Um das Jahr 500 vor Christus wurden sie von einer Bevölkerung verdrängt, die den Privatbesitz einführte und nicht mehr ausschließlich Landwirtschaft betrieb. Zwar nutze sie weiter die talaiotischen Siedlungen, jedoch nicht mehr ihre Türme. Für neue Gebäude wurden oft die Steinblöcke der Vorgänger verwendet.

Skulpturen von nackten, bewaffneten Männern und Stieren zeugen davon, dass die neuen Herren von Son Fornés recht kriegerisch waren. Aus den Reihen der posttalaiotischen Bevölkerung gingen die berühmten balearischen Steinschleuderer hervor.

Von ihren Gegnern gefürchtet, von ihren Verbündeten hochgeschätzt, verdingten sich diese "Forners" als Söldner. Mit hoher Treffsicherheit dezimierten sie die vorderen Linien ihrer Feinde, indem sie diese mit 100 Gramm schweren Steinen beschossen. Es heißt, sie hätten sich nicht mit Geld, sondern mit Frauen und Wein bezahlen lassen.

Bis ins Mittelalter lebten Menschen in Son Fornés. Immer wieder veränderte sich die Siedlung im Lauf der Jahrhunderte. Davon zeugen die Mauern und Fundstücke, die im nahen Museum in Montuïri, einer restaurierten Windmühle, ausgestellt sind. Erst als Mallorca im Jahr 903 Teil des Emirats Al-Andalus wurde, haben die letzten Bewohner Son Fornés verlassen.

Infos zum Museum und der Grabungsstätte Son Fornés finden Sie hier.

(aus MM 13/2015)