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Mittagspause im Hotel La Residencia in Deià. Allegra Huston hat es sich auf einem Sofa bequem gemacht. Eineinhalb Stunden, dann geht es weiter mit dem „Memoir Writing Workshop“, den sie leitet. Sie selbst hat 2009 unter dem Titel „Love Child: A Memoir of Family Lost and Found“ (Liebes-Kind: Erinnerung an eine verlorene und gefundene Familie) ihre Memoiren veröffentlicht – und mit ihnen einen Bestseller gelandet. Dieser Erfolg liegt nicht nur an ihrer bewegenden Geschichte und daran, dass sie zwei Väter hat. Denn diese beiden Väter sind eine Hollywood-Ikone und ein englischer Aristokrat.

Ihre Memoiren sind auf English und Spanisch erschienen, aber nie auf Deutsch. Eine Entscheidung des Verlags. Dabei wurde das Buch nicht nur von Literaturkritikern hoch gelobt, sondern auch von Schriftstellern. „Eine außergewöhnliche Erzählung über ein außergewöhnliches Leben. Sie hat mir gefallen“, urteilte etwa Salman Rushdie.

Um Missverständnissen vorzubeugen, stellt Huston klar: „Ich habe keine Hollywood-Memoiren geschrieben. Das Buch handelt davon, wie sich aus unverbundenen Fragmenten eine Familie zusammensetzt.“

Vier Jahr war Huston alt, als ihre Mutter bei einem Autounfall starb. „Ich wurde von einer Frau mit Haaren so blass wie der Mond in einen Hotelraum geführt“, erinnert sie sich an die Zeit kurz danach. Dort sei sie einem furchteinflößenden, Zigarre rauchenden Mann vorgestellt worden mit den Worten, dies sei ihr Vater.

Dieser Mann war kein Geringerer als John Huston. Eben jener berühmte Cineast und Oscarpreisträger, der Filme wie „African Queen“ und „Moby Dick“, „Die Spur des Falken“ und „Misfits“, „Die Nacht des Leguan“ und „Die Ehre der Prizzis“ drehte, der mit Schauspiel-Ikonen wie Humphrey Bogart und Katherine Hepburn, Gregory Peck und Marilyn Monroe, Jack Nicholson und Kathleen Turner, aber auch mit seiner Tochter Angelica Huston arbeitete. Huston war in vierter Ehe mit Allegras Mutter, der Tänzerin Enrica Soma, verheiratet gewesen.

Für Allegra Huston begann eine lange Reise. Von einer erstklassigen Londoner Wohngegend zog sie nach Irland in das Haus von John Huston, von dort ging es in das Haus der Großeltern mütterlicherseits auf Long Island und in den kalifornischen Bungalow der fünften Frau ihres Vaters, Celeste Shane. Kurz darauf wurde Shane von Huston geschieden, doch Allegra blieb in ihrer Obhut. Mit ihrem Vater traten auch drei Halbgeschwister in ihr Leben: Tony, Anjelica und Danny Huston, alle drei Schauspieler und Cineasten.

Dann drehte sich erneut das Rad ihrer Lebensgeschichte. Zwölf Jahre war sie alt, als sie von ihrer Stiefmutter erfuhr, das John Huston gar nicht ihr leiblicher Vater sei. „Ich glaube, er hatte nie die Absicht, mir das zu sagen“, sagt sie im Rückblick.

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Ihr biologischer Vater war ein englischer Viscount, der Historiker und Autor John Julius Norwich. Fragt man Allegra Huston, wer denn nun ihr eigentlicher Vater sei, antwortet sie: „Ich würde sagen, dass ich zwei Väter habe. Aber ich habe nur einen Dad, und das ist John Huston. Meinen biologischen Vater habe ich immer John Julius genannt. Eine Zeit lang war er für mich mehr eine Art Patenonkel. Und es dauerte seine Zeit, bis es für mich natürlich wurde zu sagen, dass er mein Vater ist und seine beiden Kinder meine Geschwister sind.“

Das Verhältnis zwischen beiden Vätern bezeichnet Huston als nicht gerade herzlich. „Tatsächlich begegneten sich beide zum ersten Mal beim Begräbnis meiner Mutter. Und ich denke, mein Dad war sehr frostig zu John Julius. Und die Frau von John Julius bot dann an, mich aufzunehmen. Und Dad sagte: „,Keinesfalls, sie ist eine Huston, sie kommt zu uns.‘“

Auf das Verhältnis zwischen ihr und John Huston hatte dies keinen Einfluss. „Ich fühlte mich nie weniger geliebt als meine Geschwister“, sagt sie. „Natürlich fürchtete ich, dass ich ihn verlieren würde, als mir erzählt wurde, dass er nicht mein Vater sei. Aber es machte für ihn nie einen Unterschied. Ich fragte ihn nie danach und er erwähnte es nie.“

Dass sich Allegra Huston auch ihrem leiblichen Vater annähern konnte, habe an seiner ruhigen und beharrlichen Art gelegen, sagt sie. Er habe ihr Bücher über seine Familie und seine eigenen Werke geschickt. Und auch die Briefe von ihrer Mutter. Durch sie erfuhr sie, dass sie nicht das Produkt einer Laune, sondern das Ergebnis einer Liebe ist. „Meine Stiefmutter hatte mir das zwar gesagt, als sie mir erzählte, dass mein Dad nicht mein Vater sei. Aber wie kann sie das wissen? Sie war nicht dabei. Ich wusste es nicht, bevor ich nicht die Briefe meines Vaters gelesen hatte“, erzählt Huston.

Ihre Geschichte wollte sie eigentlich nur in einem Artikel für die Zeitschrift „Harper‘s Bazaar“ veröffentlichen. Denn nach ihrem Literaturstudium in Oxford und ihrer Tätigkeit im Verlagswesen hatte sie begonnen, für renommierte Medien zu schreiben. Dass aus dem Artikel schließlich ein Buch wurde, verdankt sie drei Personen, von denen sie sagt, dass sie auf ihr Urteil großen Wert lege.

Inzwischen hat Huston mit ihrem Roman „Say My Name“ ein weiteres Buch veröffentlicht. Und diesmal können sich die deutschsprachigen Leser freuen: Den Roman gibt es unter dem Titel „Nachtjasmin“ auch in ihrer Sprache auf den Markt.

(aus MM 44/2018)