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In den Dokumenten zur Legion Condor auf Mallorca findet sich ein groteskes Schriftstück, fünf Seiten Din-A-4, Maschinen-Durchschlag, eng beschrieben, undatiert, vermutlich 1937, und nicht unterzeichnet. So ist der Verfasser des Aufsatzes „Über spanische Mentalität” zwar nicht bekannt, doch der Inhalt spricht für sich: Das Papier ist eine indirekte Anleitung zum Umgang mit Spaniern, insbesondere mit Spaniern, mit denen man beruflich zu kooperieren hat. Der Hintergrund: Das Eingreifen Hitlers im Spanischen Bürgerkrieg 1936 und die Entsendung des Kampfverbandes der Legion Condor erbrachten die Notwendigkeit, dass deutsche und spanische Militärs als Verbündete auch in niedrigen Mannschaftsrängen plötzlich miteinander zu kommunizieren hatten. Und damit der Kulturschock für die als „Freiwillige” getarnten Kämpfer nicht allzu ausgeprägt ausfiel, hatte sich jemand in der Wehrmachtsbehörde offenbar Gedanken gemacht und die spanischen Waffenbrüder quasi psychoanalysiert, um deren Eigenheiten den eigenen Legion-Condor-Angehörigen vermittelnd nahezubringen.

Man darf nicht vergessen: Spanien war damals noch für viele „das Land, wo die Zitronen blüh’n”, also weit weg, exotisch und – für Deutsche nahezu unbekannt, zumal der Tourismus damals zwar bereits im Keim existierte, aber allenfalls Wohlhabende oder gänzlich Anspruchslose wie etwa Wanderkünstler und Handwerker einschloss, nicht jedoch jene Millionen, die heute jedes Jahr dank Massentourismus die Balearen und die Iberische Halbinsel bereisen. So hielt der Aufsatz fest:

Deutsche, die neu nach Spanien kommen, vor allem diejenigen, die das „Binnenland” Deutschland noch nie vorher verlassen haben, stellen zunächst mit einigem Schrecken und ebenso oft mit einiger Entrüstung fest, daß hier „alles anders ist als daheim”.

Immerhin warnte das Schreiben vor allzu schnellen Vorurteilen. Für den NS-Jargon ungewöhnlich ausgewogen, wird festgehalten:

Wir dürfen nicht in den Fehler verfallen, das „Anders” unbedingt mit „Schlechter” gleichzusetzen.

Den deutschen Landsleuten brachte der Aufsatz nahe, dass „der Spanier, entsprechend seinem fröhlichen, freundlichen Sinn” ausgesprochen höflich und zuvorkommend im Umgang ist, und „infolge seiner alten Kultur” sehr viel auf äußere Formen gibt. Nichts sei für ihn unverzeihlicher als ein Formfehler. Insofern warnt der Schreiber:

Gerade das, was bei uns Deutschen geschätzt wird: Offenheit, Ehrlichkeit, klares Denken in kurzer, energischer Form geäußert, prägnante Kürze – alles dies sind Dinge, die der Spanier vielfach als Unhöflichkeit, ja als Taktlosigkeit empfindet.

Was also tun? Der Verfasser des Aufsatzes rät, auf „Schimpfen und Zurechtweisungen mit erhobener Stimme” zu verzichten. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass „eine kurze, scharfe Anordnung” den Widerspruch des Spaniers erweckt, während der gleiche Befehl, in anderer Form, „womöglich umschrieben ihm beigebracht, bedingungslos erfüllt wird”. Der Autor erläutert dazu:

Man kann sich oft des Eindrucks von einem bockigen Kinde nicht erwehren, das nur aus Bockigkeit eine Sache nicht einsehen will, weil man es in der Form verletzt hat. Stellt man sich auf den Ton der besserwissenden Belehrung oder gar auf scharfes Kommandieren dem Anderen gegenüber ein, so ist sofort alles aus, es ist, als fiele ein eiserner Vorhang, jeder Einwand, jeder Vernunftgrund vermag nichts mehr auszurichten.

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Der Autor schildert die Spanier als ausgeprägte Individualisten, sodass ihnen eine Zusammenarbeit selbst untereinander schwer fällt. Zu dem Individualismus gesellen sich der Schilderung zufolge auch „ein ausgesprochener Stolz” und „großer Ehrgeiz”. Gerade diese Vereinigung von Charakterzügen erkläre die typische Abneigung gegen jeden äußeren Zwang, gegen jedes „Muss”. Anerkennend fährt der Autor fort:

Der Spanier ist Meister im Improvisieren, und ihm gelingen oft improvisiert die schwersten Leistungen, die bei uns nur nach gründlicher Vorbereitung denkbar wären.

Weiter heißt es über „den Spanier”:

Auch an schneller Auffassungsgabe ist er dem Durchschnittsdeutschen überlegen, dagegen unterlegen in Pünktlichkeit, Ausdauer und Pflichtgefühl.

Der Bericht über die spanische Mentalität zog jeden noch so banalen Allgemeinplatz heran: Der Hang des Spaniers zum Fatalismus, „der zweifellos aus der engen Verbindung mit dem maurischen Volke auf ihn übergegangen ist”, wurde ebenso wenig ausgelassen wie der „Frohsinn” als Grundzug des spanischen Charakters:

Eine fast kindlich anmutende, unkomplizierte Freude an den Dingen, an Farben, an der Natur, vor allem aber am Spiel in jeder Gestalt, – sei es der prunkvoll kirchliche Umzug, sei es das weltliche Vergnügen, Tanz, Musik, Jahrmarkt, Stierkampf etc. – gehört zur Eigenart des Spaniers. Sein Grundprinzip ist: den Tag, die Stunde genießen, so gut es geht.

Nun ging es bei dem Schreiben nicht nur um gesellschaftliche Erscheinungsformen, sondern auch und insbesondere um militärische Angelegenheiten, wie sie bei verbündeten Armeen und Truppenverbänden Alltag sind. Selbstverständlich, so der Bericht, kenne auch das spanische Militär Befehl und Kommando im Dienst und gleichfalls den absoluten Gehorsam des Untergebenen. Über die franquistischen Kampfgenossen hielt das Papier fest:

Der Soldat in seiner äußeren Erscheinung erweckt zunächst beim Deutschen Widerspruch und Kopfschütteln, aber das Beispiel hat ergeben, dass trotz der oft „unmilitärischen” Erscheinung der spanische Soldat ein unbedingt treuer, gehorsamer Untergebener ist, der in der Verteidigung der Stellung, die ihm zu halten befohlen ist, bis zum Tode ausharrt.

In der Tat: Der Spanische Bürgerkrieg, der sich auch aufgrund der Unterstützung durch Hitler-Deutschland bis 1939 drei Jahre hinzog, brachte für viele Soldaten und Zivilisten den Tod. Viele jener Legion-Condor-Angehörigen wiederum, so sie Krieg und Weltkrieg heil überstanden hatten, kehrten später als Touristen gerne nach Spanien und Mallorca zurück.