Der Tenor und Wahlmallorquiner Daniel Kirch: "Man ist Sänger oder man ist es nicht." | Hermann und Clärchen Baus

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Am Anfang stand die Komische Oper Berlin, es folgten Häuser wie die Staatsoper und Deutsche Oper Berlin, die Bayerische und Wiener Staatsoper, das Liceu in Barcelona und die Scala in Mailand, außerdem Festspiele wie Salzburg, Bregen – und jetzt auch Bayreuth. Ein Glück, dass der Tenor Daniel Kirch sich vor acht Jahren auf Mallorca niedergelassen hat. Denn auf der Insel kann man ihn am Samstag und Sonntag, 16. und 17. Dezember, in einem exklusiven Rahmen auf der Künstlerfinca Can Brut bei Cas Concos live erleben. Mit dem Pianisten Francesco Blanco wird er den Liederzyklus „Winterreise” von Franz Schubert aufführen.

Mallorca Magazin: Herr Kirch, die Winterreise ist ein Meisterwerk der Liedkunst. Vielleicht sogar einer der Höhepunkte dieses Genres?

Daniel Kirch: Auf jeden Fall. Generell ist Franz Schubert der Meister des Lieds, natürlich noch neben anderen Komponisten. Und seine Winterreise ist sein Masterpiece. Es gibt andere große Zyklen wie „Die schöne Müllerin” und der „Schwanengesang”, aber ich glaube, kein Zyklus ist so rund und dicht wie die „Winterreise”.

MM: Es gibt verschiedene Deutungen der „Winterreise”. Wie verstehen Sie diesen Zyklus?

Kirch: Meine Herangehensweise ist immer sehr pragmatisch und von Emotionen geführt. Die „Winterreise” hat so viele Aspekte, dass sie wie der Monolog eines Menschen ist, der am Leben, an der Liebe gescheitert ist, eigentlich auch an der Gesellschaft. Letztendlich geht es also um ein Scheitern auf verschiedenen Ebenen, was immer wieder durch verschiedene Textfragmente angedeutet wird und nach wie vor wahnsinnig aktuell ist. Und ein Lied ist für mich ganz wichtig: „Was vermeid’ ich denn die Wege, wo die ander’n Wand’rer geh’n”, also das Gehen gegen den Strom, das Beschreiten anderer Wege als derjenigen, die von den anderen vorgeben werden.

MM: Sie haben den Zyklus bereits am 17. November, ebenfalls mit dem Pianisten Francesc Blanco, im Teatre Municipal Xesc Forteza in Palma aufgeführt. Wie ist das für Sie, ihn einen Monat später auf der Finca Can Brut in einem privaten Ambiente zu singen?

Kirch: Das ist natürlich ein sehr exklusiver Rahmen. Im Fokus der Scheinwerfer auf der Theaterbühne sieht man das Publikum nicht. Ich konnte vom ersten Lied an tief in diesen Monolog und in die Figur eintauchen. Das verändert sich, wenn die Leute einem sehr nahe sind und rings um den Flügel sitzen. Die enorme Konzentration, die für das ganze Werk abverlangt wird, ist dann deutlich schwieriger. Wobei die Stimme auch sehr nah ist und ich das mit meinem Kernrepertoire als Heldentenor anders singe als noch vor 15 oder 20 Jahren, als ich noch ein deutlich lyrischerer Tenor war. Ich hoffe, dass ich die Leute damit und auch mit den Emotionen nicht erschlage. Man hat eben keine Distanz. Das hat aber auch seinen Reiz.

MM: Es gibt unzählige Aufnahmen der „Winterreise”. Schaut man da auch mal nach links und rechts oder macht man das gerade nicht und schiebt alles beiseite?

Kirch: Wenn man sie schon seit ein paar Jahrzehnten singt, hat man natürlich immer mal nach links und rechts geschaut. Eine meiner Lieblingsaufnahmen ist nach wie vor die von Brigitte Fassbaender und Irvin Gage. Und als Student habe ich in der Kölner Philharmonie noch live Thomas Quasthoff erlebt. Das hat mich auch sehr ergriffen. Ich bevorzuge generell eher Interpretationen, die auf einer emotionalen und nicht auf einer nur artifiziellen, manierierten Ebene angegangen werden. Ich glaube, das kennzeichnet auch meine Liederabende. Ich möchte die Leute einfach berühren, das ist schon immer der Antrieb meines Singens gewesen.

MM: Wie kommt man von lyrischen Tenor zum Heldenfach?

Kirch:Ich habe sehr jung, schon mit 22 Jahren an der Komischen Oper in Berlin angefangen, noch mit dem großen Regisseur Harry Kupfer. Die ersten drei Jahre war ich im Ensemble und danach noch ein bisschen Gast, dann bin ich freischaffend in die Welt gegangen. Man braucht erst mal Erfahrung: Wo sind die Monitore? Wo guckt man wie zum Dirigenten? Wie entwickelt man eine Rolle dazu? In jungen Jahren waren das meine besten Lehrjahre, und ich habe mich vom Spieltenor (leichte Tenorstimme, die für heitere, wenig dramatische Spielrollen in Oper und vor allem Operette eingesetzt wird; Anm. d. Red.) über das leichtlyrische Fach sukzessive weiterentwickelt.

MM: Wie muss man sich diese Entwicklung vorstellen?

Kirch:Das ist zum einen das Leben mit allem Auf und Ab, das einen weiterbringt, Man sagt ja immer, die Stimme ist das Spiegelbild der Seele – und natürlich auch einer persönlichen Entwicklung. Dann ist es auch die Grundanlage einer Technik, die erst einmal zur Verfügung stehen muss. Man muss die Weiche so stellen, dass Stimme überhaupt wachsen darf, dass sie nicht festgehalten wird, sondern weitergehen darf. Es ist die Reife und das Reiferwerden. Dann wächst man ganz schnell über das lyrische Fach hinaus, wo man nur „schön”, aber noch nicht über groß besetzte Orchester singen muss. Ich habe also diverse Fächer durchsungen. Mein Kernrepertoire ist nun vor allen Dingen Wagner, diese großen Rollen vom Lohengrin über den Walther von Stolzing in den „Meistersingern” über Parsifal und Sigmund in der „Walküre” bis hin zu den Siegfrieden, Tannhäuser, Tristan – ich habe das alles mehrfach gesungen. Dafür braucht man schon eine größere Durchschlagskraft und Ausdauer.

Klassikkonzert mit Tenor Daniel Kirch

MM: War Wagner schon immer ihr großes Ziel?

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Kirch: Wagner hatte mich schon in jungen Jahren gepackt. Ich hatte meine eigenen Wagner-Platten zu Hause. Ich hatte auch Verdi und mir alles Mögliche angeschafft, aber bei Wagner bin ich immer hängen geblieben. Dann hatte ich das Glück, dass ich in Köln mit dem Altmeister Hans Sotin, eine große Basslegende am Grünen Hügel in Bayreuth, studieren konnte. Als Student und auch als Stipendiat der Richard-Wagner-Gesellschaft hat mir das in den 1990er Jahren erst einmal Türen geöffnet. Unter anderem durfte ich in Bayreuth die legendäre Inszenierung von Heiner Müllers „Tristan und Isolde” mit Waltraud Meier und Siegfried Jerusalem sehen. Das war für mich ein Meilenstein.

MM: Inwiefern?

Kirch: Weil ich das so berührend fand. Das hat mit mir etwas gemacht. Als ich dann 2017 beim Festival Mémoires in Lyon meinen ersten Tristan singen durfte, war es genau der „Tristan” von Heiner Müller, der zum ersten Mal aus Bayreuth nach Lyon verkauft wurde. Das war für mich der Wahnsinn, aber auch ein bisschen ernüchternd, da das natürlich alles ganz anders war: Man hatte keine Waltraud Meier neben sich und ein ganz anderes Orchester, es war auch nicht der Raum in Bayreuth. Trotzdem war ich wahnsinnig dankbar, dass ich mein Tristan-Debüt in dieser Inszenierung, die so geliebt hatte, machen durfte.

MM: 2022 hatten Sie als Loge in „Rheingold” Ihr Bayreuth-Debüt und sind dort dieses Jahr erneut aufgetreten. Gibt das ein Gefühl, angekommen zu sein?

Kirch: Ja und nein. Die Welt hat sich sehr verändert. Die Schnelllebigkeit, die Austauschbarkeit, die Art und Weise, wie man heute mit Künstlerinnen und Künstlern umgeht, ist eine völlig andere als noch Ende der 90er Jahre, als ich losgelegt habe. Auf der einen Seite ist ein Traum in Erfüllung gegangen, und ich bin dankbar gewesen, auf dem Grünen Hügel mit dabei gewesen zu sein. Aber ob ich jetzt 2019 an der Bayerischen Staatsoper für Jonas Kaufmann in den „Meistersingern von Nürnberg” eingesprungen bin oder ob das eine Berufung an den Grünen Hügel ist, ich bin da relativ nüchtern. Ich habe genauso große Abende bei Debüts in Provinzhäusern in Deutschland gehabt. Ob das nun meine erste „Tote Stadt” in Hof oder mein erster „Lohengrin” in Coburg war, da gab es wunderbare Synergien mit Kollegen. Das findet man an den ganz großen Häusern manchmal gar nicht in der Form, da findet man wieder andere Dinge. Also, es ist eigentlich egal, ob ich mich in eine kleine Finca mit 40 Leuten drumherum stelle oder in einem großen Theater mit 2000 Leuten stehe. Mein Anliegen ist immer, Menschen zu bewegen und mich unabhängig von Raum und Zeit bestmöglich zu verkaufen.

MM: Sie sind Jahrgang 1974 und haben als Gymnasiast schon leidenschaftlich gern Wagner gehört. Das klingt, mit Verlaub, nach heutigen Mainstream-Maßstäben etwas nerdig. Ganz frech gefragt: Was haben Ihre Eltern falsch gemacht?

Kirch: Gar nichts, mein Vater hatte nur seine Platten nicht im Safe, sondern die lagen halt herum. Das waren damals ganz schöne Plattenstapel, wie man das früher noch hatte. Irgendwann lag mindestens die Hälfte der Platten in meinem Zimmer, und die habe ich bis heute, auch jetzt hier auf Mallorca. Da waren Klavierkonzerte dabei, Violinkonzerte, Sinfonien, aber ich habe mich vornehmlich mit Oper und Gesangsaufnahmen beschäftigt. Ich hatte auch schnell meine Idole und hatte mir Klavierauszüge in der Bücherei ausgeliehen und beim Hören mitgelesen. Ich habe schon in der Grundschule immer gesagt: Ich möchte Opernsänger werden, und in der Schule war ich halt relativ schnell bereit, im Musikunterricht ein kleine Referat über „Die Meistersinger von Nürnberg” zu halten. Aber Nerd war ich nie. Ich habe beide Seiten, ich bin sehr diszipliniert, aber ich kann auch sehr undiszipliniert sein. Aber ein reiner Nerd – mir wäre das Leben zu schade gewesen, um mich nur mit Musik zu beschäftigen. (Lacht)

MM: Sie haben sich 2015 in Portocolom niedergelassen. Ist Mallorca ein Mittelpunkt für Sie geworden?

Kirch: Auf jeden Fall. Ich bin froh, Deutschland den Rücken gekehrt zu haben und, gerade bei den Veränderungen auf der Welt, hier immer wieder einen Ruhepol zu finden, auch wenn ich von einem Job zurückkomme, ob das jetzt Bayreuth war oder woanders, wo ich gesungen habe. Und man hat, was ich sehr lebensverlängernd und wichtig für mich finde, dieses wunderbare Wetter. Mich könnte es eher noch weiter in Richtung Äquator ziehen, um noch mehr in der Sonne zu leben. Ich hatte gerade einen wunderbaren Aufenthalt auf Lanzarote. Die Kargheit und der Minimalismus dieser Insel haben mich sehr berührt. Das ist so pur, und so, wie gerade die Welt am Abgrund steht, möchte ich mich fast auf etwas noch Kleineres zurückziehen. Ich merke da große Parallelen zu dem Protagonisten der „Winterreise”, weil ich schon immer jemand gewesen bin, der, wenn auch nicht bewusst, immer andere Wege gegangen ist. Und immer noch geht.

MM: Einen beeindruckenden Weg sind Sie auch während der Pandemie gegangen, als der Kulturbetrieb stillstand. Sie haben Brot gebacken.

Kirch: Das war ein ganz besonderer Moment für mich und meinen Partner. Wir bekamen die Möglichkeit, für den Markt am Mittwoch und Samstag in Santanyí Brot zu backen. Daraus hätte ich gerne ein Business gemacht, weil das gut ankam. Ich wusste bis zu dem Punkt, wo ich in dieser Profi-Backstube stand, auch nicht, ob ich das kann. Wir haben uns einfach getraut und etwas Neues gefunden. Das hat mich bis heute im Griff. Gerade auf Mallorca sehe ich da auch ein großes Potenzial, aber man kann sich nicht in alle Richtungen verzetteln.

MM: Ihre Priorität ist also weiterhin das Singen?

Kirch: Auf jeden Fall. Das ist nicht nur eine Priorität. Man ist Sänger oder man ist es nicht. Ich sehe mich auch als Künstler und nicht nur als Sänger oder Musiker. Das Leben mit so einer Stimme und mit den Stimmungen ist mehr als nur ein Instrument, was man gelernt hat. Die Stimme ist so dicht mit einem verwoben. Man kann sie nicht einfach in die Ecke legen. Der Gesang kommt eben durch einen selbst und das ist doch ein großer Unterschied zu jedem anderen Instrument.

Das Interview führte
Martin Breuninger

WAS, WANN, WO

Alle Infrmationen zu den Konzerten von Daniel Kirch und Francesc Blanco. Programm:. Daniel Kirch (Tenor) und Francesc Blanco (Klavier) führen den Liederzyklus „Winterreise” von Franz Schubert auf. Datum:. Samstag, 16. Dezember, 15 Uhr; Sonntag, 17. Dezember, 12 Uhr. Ort:. Künstlerfinca Can Brut bei Cas Concos. Eintritt:. 50 Euro inklusive Inbiss und Getränke in der Pause. Reservierungen:. iflohr.santanyi@gmail.com; 690-218709 (Telefon/Whatsapp);. Die Teilnahme ist nur mit Anmeldung möglich