In der "Bodega San Antonio" lassen einem die präsentierten Speisen das Wasser im Munde zusammenlaufen. | Patricia Lozano

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Es gab einmal eine Zeit, da war die Plaça Sant Antoni zu Palma so eine Art Reeperbahn im Miniaturformat: Außer Huren, Drogendealern und ihre Kunden traute sich kaum jemand hierher, anständige Restaurants und Bars fanden sich nur wenige. Es heißt, dass sich die Gegend einst im Handumdrehen sogar mit zugereisten Dirnen aus Barcelona füllte, wenn US-GIs mal wieder einem Kriegsschiff entstiegen waren, um in der Stadt einen drauf zu machen. Die Plaça Sant Antoni galt als abstoßender Sündenpfuhl, den normale Bürger nur wenn es unbedingt sein musste betraten.

Das Schmuddelige, was früher jahrzehntelang alles prägte, ist zwar immer noch hier und da zu verspüren, aber einige teils schicke Restaurants und eine fortschreitende Gentrifizierung am benachbarten Raimundo-Clar-Platz haben das Ambiente deutlich verändert. Während sich Prostituierte hier und da weiterhin ihre teils ausladenden Hintern auf ältlichen Stühlen vor dunklen Räumlichkeiten platt sitzen ( „hey man, 35 euros one hour” ), zieht es zugereiste hippe Anwohner, Mitarbeiter von Reisebüros und der zahlreichen Banken oder neugierige Urlauber auf die durchaus einladenden Lokal-Terrassen.

Dort genießen sie breitgefächerte Speisen – etwa „rabo de toro” (Ochsenschwanz) und Tintenfisch mit Alioli in der bereits über 100 Jahre alten „Bodega San Antonio” für immerhin 20 beziehungsweise 21 Euro. Das Lokal genießt einen gewissen Legendenstatus, Kellner Juan sagt dem MM-Stadtbesichtiger zunächst nur einen Satz: „Vergiss die komischen Typen, die hier rumlaufen, wir hier haben damit nichts zu tun.” Wer auf der Plaça Sant Antoni essen will, kann auch ins haargenau zum nachhaltigen Zeitgeist passende Schicki-Öko-Lokal „Rawcoco” gehen, wo es modisches „Greenfood” wie Andenhirse und Hummus für wenig Geld gibt – nämlich für schlappe 8,50 beziehungsweise 8,90 Euro. Und dann ist da noch das derzeit ausnehmend angesagte kleine Restaurant „Cannibal Cantina”, das nachgerade „sophisticated” daherkommt. Die Hauptspeisen kosten hier 16 bis 25 Euro pro Teller, das Lokal, in welchem es unter anderem Jakobsmuscheln und Erdnuss-Aioli gibt, wird von Usern des allseits bekannten Bewertungsportals „Tripadvisor” und auch Gastro-Kritikern fast durchweg abgöttisch gelobt. Als besonders hip gilt, dass der Gastbetrieb seine lediglich zehn Gerichte laufend durchwechselt.

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Womit die Gegend sich inzwischen wieder im weiteren Sinne dem angenähert hat, was hier an der Essensfront ganz früher vor den Prostituierten und Dealern über die Bühne gegangen war: Ehedem schafften die Bauern der Insel im Schweiße ihres Angesichts ihre Melonen, Kartoffeln, Schweine, Wachteln oder Hühner zwecks Weiterverkauf an den Einzelhandel ganz in die Nähe – dorthin, wo heute unübersehbar das erschlagend große Kaufhaus „El Corte Inglés” steht. Ungeachtet der erstaunlich raumgreifenden kulinarischen Aufmöbelung der Gegend in den vergangenen Jahren – die Bäckerei „S’Estació” mit den vielen Torten und dem faszinierenden Glasfußboden ist ein weiteres Beispiel – ist es auch heute ratsam, sich auf der Plaça Sant Antoni nicht über Gebühr lange stehend an einem Ort aufzuhalten. Denn dann wird man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von diversen herumirrenden und -lungernden Gestalten flackernd bis rotzig beäugt, als wäre man ein potenzieller Drogenkäufer, ein Freier oder gar ein Polizist oder Detektiv.

Oder man wird von mitunter zahnlosen Gesellen verbal zudringlich angegangen – „gib mir mal nen Euro, ich muss essen”. Es heißt, dass an der Plaça Sant Antoni noch immer spätnachmittags Autos Junkies abholen, auf dass sie sich in der vor den Toren der Stadt liegenden Elendssiedlung Son Banya mit Drogen aller Art eindecken. Setzt man sich in eine der wenigen Schmuddelbars, die es hier noch immer gibt, kann man sichergehen, von wem auch immer auf nervige Weise angesprochen zu werden.

Trotz der Tatsache, dass die Rotlichtvergangenheit an der Plaça Sant Antoni noch unübersehbar präsent ist – im Sexshop „Fron” kann man von Dildos über Reizwäsche bis zu Sadomasomasken so ziemlich alles Einschlägige erstehen – wird das neuhippe Selbstverständnis der generell immer schicker werdenden Innenstadt virulenter: Weniger als fünf Gehminuten entfernt ist die Welt eine völlig andere. An der blitzsauberen Plaça Raimundo Clar befinden sich propere Wohnhäuser, auf deren Balkons ebenso properes Korbgestühl steht. Eher jung-urbane, auch Deutsch sprechende Bewohner blicken von dort inselvernarrt auf die durchaus sauberen Parkbänke und Lokale wie „Raimundo”, in welchem für den Burger nicht unter 12,90 Euro verlangt werden.

Das Nett-Zeitgeistige und das voll und ganz Versiffte liegen an der Plaça Sant Antoni eng beieinander, wobei der Schick immer mehr Boden gut macht. Und dennoch: Das irritierend Zerrissene an diesem Ort dürfte hier noch einige Zeit spürbar sein.