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Wer zu einem Ausflug ins karge Bergland der Levante-Halbinsel bei Artà aufbricht, ganz im Nordosten Mallorcas, der erwartet wohl kaum, dort zwischen Kiefern, Stechpalmen und Carritx-Gras auf Überreste eines der dunklen Kapitel der mallorquinischen Geschichte zu stoßen. Bei den halb verfallenen Gebäuden handelt es sich um die Ruinen des wohl bekanntesten Zwangsarbeiterlagers der Insel.

Mehr als 700 Häftlinge sollen im Jahr 1942 im Campament dels Soldats untergebracht gewesen sein, einem etwa einen Hektar großen Areal mit mehreren Baracken, Krankenstation, Küche sowie Unterkünften für die Wachen und Offiziere. Die Aufgabe der Gefangenen war es, eine etwa sechs Kilometer lange Straße durch die vollkommen unbesiedelte Berglandschaft zu bauen, an deren Ende dann auf einer Anhöhe am Cap Ferrutx, von der aus die gesamte Bucht von Alcúdia zu überblicken ist, ein Artillerie-Stützpunkt eingerichtet werden sollte. So berichtet es der Heimatforscher Jaume Morey in seiner Studie über dieses Gefangenenlager. „Die Männer erfuhren dort eine unmenschliche Behandlung, bestehend aus harter, ständiger Arbeit, wenig Essen und extremen Körperstrafen”, schreibt er. Grundlage seiner Untersuchung sind Gespräche mit Überlebenden.

Die Geschichte der Zwangsarbeiter auf Mallorca ist bis heute nicht vollständig aufgearbeitet. Erst jetzt, mehr als 80 Jahre später, treibt die Balearen-Regierung die Bemühungen darum voran. Zuletzt beauftragte sie die junge Historikerin Eugènia Jaume mit der Zusammenstellung einer Übersicht aller Bauwerke, die von Zwangsarbeitern während des Bürgerkrieges und in den Folgejahren auf der Insel errichtet wurden. Auf mehr als 200 auf allen Baleareninseln ist die Forscherin gekommen, die bereits eine Studie zum Thema verfasst hat („Esclaus Oblidats”, Edicions Documenta Balear) und derzeit an ihrer Doktorarbeit zum Thema sitzt. „Allein auf Mallorca entstanden beispielsweise mehr als 300 Kilometer Straßen”, sagt Jaume. Unter anderem seien von Zwangsarbeitern viele der Küstenstraßen gebaut worden, die noch heute genutzt werden: Die alte Küstenstraße von Calvià nach Palma, die Straße von Llucmajor nach Campos, die Straße nach Portocristo und nicht zuletzt auch die Straße von Alcúdia nach Port de Pollença. Dazu kommen Brücken, Flugplätze, Eisenbahnlinien und etwa 160 Artilleriestellungen an der Küste – kurzum: Bauwerke von militärischem Interesse. Ziel des Franco-Regimes war es, die Insel vor einer möglichen Invasion zu schützen. Nachdem mit dem Ende des Bürgerkrieges die eine Gefahr gebannt war, fürchteten die Machthaber im Zweiten Weltkrieg dann einen Angriff der Alliierten.

„Die Repression bestand nicht nur aus Ermordungen”, sagte Jesús Jurado, Leiter der zuständigen Abteilung der Balearen-Regierung, als er kürzlich die Pläne zur Aufarbeitung dieses Teils der Vergangenheit vorstellte. „Das Franco-Regime benutzte auch Tausende politischer Gefangener zur Zwangsarbeit, unter schrecklichen Bedingungen, Hunger und konstanten Misshandlungen in Konzentrationslagern.” Es sei nur gerecht, nun das Ausmaß dieses Unrechts zu erforschen.

In Spanien ist die Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen während des Bürgerkrieges und der Franco-Diktatur viele Jahrzehnte lang nicht vorangekommen. Ein Amnestiegesetz, das während der Rückkehr zur Demokratie beschlossen wurde, verhinderte jegliche Strafverfolgung. Erst seit wenigen Jahren gibt es verstärkte Bemühungen um die Aufarbeitung. So finden auf Mallorca immer wieder Ausgrabungen statt, um in Massengräbern verscharrte Bürgerkriegsopfer ausfindig zu machen, die bislang als vermisst gelten. Dass nun auch das Schicksal von Zwangsarbeitern in den Fokus des öffentlichen Interesses rückt, ist neu.

26 Arbeitslager konnte Eugènia Jaume bislang auf den Balearen ausfindig machen, auf Mallorca vor allem an der Süd-, Nord- und Ostküste, aber auch im Südwesten und in Sóller. Die Zahl der Häftlinge, die dort zwischen Ende 1936 und Ende 1942 untergebracht waren, schätzt sie auf mehr als 15.000. Namentlich identifizieren konnte sie bislang etwas mehr als 8000, sagt sie. Dabei handelte es sich um Kriegsgefangene, um Kommunisten, Sozialisten, Anarchisten und sonstige Anhänger der Republik.

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Ein Grund für die Einrichtung der Arbeitslager war die Überfüllung der regulären Gefängnisse. So waren in Palma etwa auch das Castell Bellver und ein Holzlager an der heutigen Plaça d’Espanya (heute befindet sich dort das Kino Sala Augusta) zu Gefängnissen umfunktioniert worden. Die Internierung in einem der Lager sollte als Strafe für die Gegner des neuen Regimes und als Abschreckung für den Rest der Bevölkerung dienen, so Jaume.

Bei den Gefangenen handelte es sich zunächst in erster Linie um Mallorquiner. Ab 1938 seien dann auch vermehrt Häftlinge vom Festland auf die Insel verlegt worden. Zum Großteil waren dies ehemalige Kämpfer der republikanischen Truppen. Viele von ihnen waren nach dem Ende des Bürgerkrieges nach Frankreich geflohen, wo sie dann vom zweiten Weltkrieg überrascht wurden. Der Verfolgung durch die deutschen Besatzer und die Deportation in deutsche Arbeitslager versuchten viele dann dadurch zu entgehen, dass sie wieder nach Spanien zurückkehrten. Laut Jaume waren auch Russen, Griechen und Franzosen unter den Zwangsarbeitern.

Die mallorquinischen Lager waren zum Großteil improvisiert und bestanden häufig lediglich aus Zelten oder Holzbaracken. Aber auch bestehende Gebäude wurden zum Teil genutzt, so etwa eine Landschule bei Manacor und ein Holzlager bei Sa Pobla. Das Campament dels Soldats bei Artà, das eigens errichtet wurde (von den Gefangenen selbst, die zunächst in Zelten untergebracht waren), bildet da eine Ausnahme.

„Es handelte sich bei den Lagern um Arbeitslager, nicht um Vernichtungslager. Das zu unterscheiden ist wichtig”, sagt Jaume. Das Ziel sei gewesen, die Männer beim Ausbau der militärischen Infrastruktur einzusetzen. Daher seien sie zumindest so gut versorgt worden, dass sie arbeitsfähig blieben. Dennoch kam es zu Todesfällen. Im Falle des Campament dels Soldats etwa konnte Heimatforscher Jaume Morey zwei Opfer identifizieren, die 1942 ums Leben kamen. Einer der Männer soll Selbstmord begangen haben, der andere sei von einem Aufseher zu Tode geprügelt worden, erinnern sich Zeitzeugen. Ähnliche Fälle gab es laut Eugènia Jaume auch in anderen Lagern. Außerdem kam es unter den Gefangenen immer wieder zu Krankheitsausbrüchen. Vor allem Tuberkulose sei weit verbreitet gewesen. Als in den Jahren nach dem Ende des Bürgerkrieges auf Mallorca die Versorgung mit Lebensmitteln ins Stocken geriet und folglich Hungersnot herrschte, da betraf das die Insassen der Konzentrationslager ganz besonders.

Deren Geschichte soll nun also vor dem Vergessen gerettet werden. Weitere Folgen aber wird die Aufarbeitung wohl nicht haben. Entschädigungszahlungen etwa sind kein Thema. Das liegt auch daran, dass mittlerweile praktisch alle Betroffenen gestorben sind. Der einzige Überlebende der mallorquinischen Konzentrationslager ist laut Eugènia Jaume der heute 104 Jahre alte Gabriel Riera.

Die Straße wiederum, die die Männer in den Bergen von Artà damals im Schweiße ihres Angesichts in den Fels hauten, hat die Zeit überdauert, auch wenn der geplante Artilleriestützpunkt nie gebaut wurde. Nachdem die Konzentrationslager 1942 geschlossen wurden, hatte das Regime schlicht und einfach kein Geld, um private Firmen mit den Arbeiten zu beauftragen. „So viele Entbehrungen der Gefangenen und all das für eine Straße, die im Nirgendwo endet”, schreibt Heimatforscher Jaume Morey.