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Rubinrot funkelt der Wein im Glas, die Sonne lacht aus dem blauen Himmel, und das helle Tageslicht zaubert mediterrane Farbenpracht in den Garten, während es aus Paella-Pfannen verführerisch duftet. Auf den ersten Blick erinnert das Mittagsmahl an ein Familienessen, wie diese auf Mallorca im Sommer gerne und häufig zelebriert werden. Wären da nicht die vielen schweizerischen Sprachfetzen, die immer wieder über ein und dasselbe Thema fachsimpelten: die Qualität und Aromenfülle der eben goutierten Gewächse.

Die knapp zwei Dutzend Eidgenossen und Österreicher auf dem Weingut Oliver Moragues bei Algaida sind Teilnehmer einer weintouristischen Reise. Die Wein-Enthusiasten sind eigens nach Mallorca gekommen, um ein breites Spektrum der Inselrebsäfte sowie deren Anbaugebiet kennenzulernen. An fünf Tagen werden neun Bodegas absolviert. Betreuung und logistische Unterstützung samt Transport, Übernachtungen und Programm vor Ort erfährt die Traubentruppe durch die schweizerische Weinimporteurin Kerstin Künzle, die sich ganz auf Mallorca und seine Weine spezialisiert hat.

Unter den önologischen Reisenden befinden sich große Name der Weinwelt wie etwa René Gabriel. Der Buchautor und Bordeaux-Experte hat eigens ein von ihm designtes Weinglas mitgebracht, aus dem die Duftaromen der Tintos und Blancos spürbar intensiver herausgeschnüffelt werden können als aus herkömmlichen Kelchen. Ein kleiner Vergleich der Weinbauregionen Bordeaux - Mallorca gefällig? "Nach Bordeaux gehst du hin, weil du die Weine schon kennst", sagt Gabriel zwischen zwei Schlucken, "die Weine aus Mallorca sind dagegen unbekannt."

René Gabriel organisiert jährlich Weinreisen nach Frankreich, hat seit 1992 allein rund 2000 Menschen zur Weinprobe nach Bordeaux gelotst. Nach seinen Worten lockt dort so manches Château mit klangvollem Namen im Jahr bis zu 400.000 Besucher an. Die Abläufe zwischen Garonne und Dordogne sind entsprechend industriell durchorganisiert: Kellerei-Besichtigung, Weinprobe, Gut-Shop, Gut-Restaurant, flotte Hostessen und Führer mit Fremdsprachenkenntnissen; kurzum, die dortigen Anwesen mit geeigneter Infrastruktur fahren das volle Programm.

Mallorca ist davon weit entfernt. Die vielen kleinen Familienbodegas seien gar nicht dazu ausgelegt, viele Besucher am Tag empfangen zu können, sagt Gabriel. Und: "Weintouristen müssen ein hohes Maß an Eigeninitiative entwickeln, um die Winzer aufzusuchen. Es braucht fast einen Führer hier, um in wenig Zeit die besten Weine zu erleben."

Ähnlich sieht es Franz Xaver Pichler, Winzer aus der Wachau bei Wien und weitgereister Kenner vieler Anbauregionen von Südafrika über Chile bis Kalifornien: "Wenn sich einer nicht auskennt auf Mallorca, ist es schwierig für ihn, die Weingüter zu finden." Es gebe kaum Fachliteratur über die "Weininsel", sprachlich seien die Barrieren ohne Vermittler hoch.

"Wir stecken im Vergleich mit anderen Regionen in den Kinderschuhen", sagt Andreu Oliver, Präsident des Verbandes der kleinen Weingüter ("Petits Cellers"). Sein Verband habe die Schaffung einer Internetseite in Auftrag gegeben, damit Interessierte leichter mit den Bodega-Betreibern Besuchstermine vereinbaren könnten. Noch sei das Online-Portal aber nicht fertig.

Ramon Servalls, Verbandschef der großen Weingüter, unterstreicht die wachsende Bedeutung des Weintourismus: Die Nachfrage von Weinfreunden, die per Mietwagen auf den Bodegas auftauchten, um Land, Leute und Weine kennenzulernen, habe in den vergangenen Jahren immens zugenommen. Gefragt sei dabei der "Winzer zum Anfassen". Die Bereitschaft, Besucher zu empfangen, ist nach seinen Worten nicht abhängig von der Größe des Betriebes, sondern von der Einstellung der Winzer. Selbst kleine Familienbetriebe seien in der Lage, Dienstleistungen dieser Art anzubieten.

Allerdings vermissen Mallorcas Winzer die Zusammenarbeit mit den Behörden. Die Vize-Präsidenten der DO-Binissalem, Esperanza Nadal, vermisst Möglichkeiten der Weinwerbung am Airport und am Hafen. Bislang habe es seitens der öffentlichen Unternehmen nur Versprechungen gegeben. Weintouristen seien wichtig für die Insel. "Es sind Urlauber von hoher Kaufkraft und vielseitigem Interesse an Gastronomie und Kultur."

Winzer Pichler hält die relative Rückständigkeit in Sachen Weintourismus nicht unbedingt für einen Nachteil. Zwar seien andere Anbaugebiete besser vorbereitet, doch die Weinwelt der Insel habe sich ihre Ursprünglichkeit bewahrt. "Es muss ja nicht alles touristisch aufgezogen sein."