Diego Putallaz vom Spar-Laden in Colònia de Sant Pere zeigt sich dieser Tage mit Maske und Handschuhen gewappnet. | me

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Der Wind pfeift durch die leeren Straßen von Colònia de Sant Pere. Vögel zwitschern, irgendwo bellt ein Hund. Soweit nichts Außergewöhnliches in dem kleinen Dorf an der Nordostküste Mallorcas. Die meisten Häuser sind Feriendomizile und nur im Sommer bewohnt. Also alles wie immer? Nein!

Das eben nicht alles normal ist, das merkt man, wenn man in eines der beiden kleinen Lebensmittelgeschäfte im Dorf geht. „Hier ist was los! Das ist irre!“ Aina Morro vom Supermarkt Aprop lässt sich auf den Stuhl hinter der Kasse fallen und zieht sich den Mundschutz vom Gesicht. Sie hat in diesen Tagen alle Hände voll zu tun. „Ich mache Bestellungen wie sonst nur in der Hauptsaison“, erzählt sie.

Das liegt daran, dass auch in ihrem Supermarkt Hamsterkäufe stattfinden. Als der Alarmzustand ausgerufen wurde, kamen die Leute sogar aus Palma, um bei ihr Toilettenpapier und Mehl zu kaufen. „Inzwischen habe ich wieder alles da!“, sagt sie, genau wie ihr Kollege Diego Putallaz vom Spar-Supermarkt.

Hinzu kommt, dass derzeit schlicht mehr Menschen in Colònia de Sant Pere sind als normalerweise im Winter. „Es kommen jeden Tag fast doppelt so viele Leute wie sonst zum Einkaufen!“, schätzt Aina Morro.

Den Eindruck hat auch Ramon Capo Cursach. Er betreibt den Tabakladen von Colònia de Sant Pere. Er weiß: „Es sind viele hier, die man sonst den ganzen Winter nicht sieht.“ Leute aus Palma oder Madrid, die hier ein Feriendomizil haben und die Ausgangsperre lieber im beschaulichen Colònia de Sant Pere als in der Großstadt verbringen. „Angst vor dem Virus haben die wenigsten hier in la Colònia“, erzählt er. „Aber Angst vor dem, was noch kommt.“

Und so laufen auch die Geschäfte von Ramon Capo Cursach in diesen Zeiten gut. „Die Leute decken sich mit Tabak ein für den Fall, dass sie gar nicht mehr raus dürfen“, erzählt er.

Ruhiger geht es da in der Praxis von Doktor Gordon Schier zu. Der Tierarzt von Colònia de Sant Pere ist für seine vierbeinigen Patienten ganz normal erreichbar. „Der Weg zum Tierarzt ist genauso wie der Weg zum Humanmediziner gestattet“, betont er. „Aber ich mache nach wie vor auch Hausbesuche.“ Trotzdem sagen im Moment viele Leute ab, erzählt der Tierarzt, „einfach weil sie Angst haben, das Haus zu verlassen“.

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Tatsächlich halten sich die meisten an die Ausgangsperre, und das, obwohl die Polizei in Colònia de Sant Pere kaum Streife fährt und kontrolliert. „Sonntagmorgen waren sie mal da“, erzählt Sandra Bank vom Restaurant „Etapas“. Wie alle Gastronomen trifft sie die Krise schwer. „Zwei Wochen geschlossen, das kann ich noch verkraften. Aber länger? Das schaff ich nicht. Dann kann ich den Laden dichtmachen“, sagt sie. Ihrem Koch, Vater von drei Kindern, hat sie alles mitgegeben, was noch im Kühlschrank war. „Mehr kann ich auch nicht tun“, sagt die Wirtin traurig. Jetzt hofft sie vor allem auf Unterstützung vom Staat und räumt noch ein bisschen in ihrem Restaurant auf – immer in der Hoffnung dass sie bald wieder öffnen kann.

Dinge abarbeiten, die sonst liegen bleiben, das ist jetzt auch die Hauptbeschäftigung der Makler von Colònia de Sant Pere. Christine Thomalla arbeitet bei „Immobiliaria Colònia St. Pedro“ und zeigt sich zuversichtlich: „Klar kommen gerade kaum Anfragen für Besichtigungen rein. Aber die Eigentümer sind bisher alle entspannt“, berichtet sie. Auch bei den Ferienvermietungen, die das Immobilienbüro betreut, gebe es bisher keine Stornierungen.

Lieber nach Hause nach Dresden hingegen würde gerade Matthias Boxberger mit seiner Frau und seiner einjährigen Tochter Marie fliegen. Die Boxbergers wollten nur ein bisschen Urlaub machen – jetzt wurden ihre Flüge gestrichen, und sie sitzen in Colònia de Sant Pere fest. Es bleibt ihnen nichts übrig, als ihre Zeit in der Ferienwohnung zu verbringen. „Wir wollten uns die Insel anschauen. Jetzt sitzen wir hier rum und der Mietwagen steht vor der Tür“, erzählt Matthias Boxberger. Das einzig Positive, das er an der Situation finden kann, sei die „Spielzeug-Diät“ für seine kleine Tochter. „Eigentlich tut es mal ganz gut zu merken, dass man den ganzen Plastikkram nicht braucht. Wir spielen jetzt eben mit allem, was wir finden – mit Stöcken und Steinen zum Beispiel“, sagt er.

Colònia de Sant Pere ist ein Dorf mit vielen Kindern. Und auch wenn man die im Moment nicht wie sonst auf der Straße oder dem Spielplatz spielen sieht, so sieht man ihre Botschaften an den Haustüren und Fenstern. „Todo va a salir bien“ – „alles wird gut“ steht zum Beispiel auf dem Plakat, das Mutter Virginia mit ihren Kindern Almudena (10) und Santino (5) gestaltet hat. „Wir müssen die guten Gedanken fördern, in dieser Zeit, in der wir sie so sehr brauchen“, sagt Mama Virginia. Und so malen und basteln die Kinder von Colònia de Sant Pere Plakate mit positiven Botschaften in den buntesten Farben.

Esther Zarrias ist die Direktorin der Schule von Colònia de Sant Pere. Mit verschiedenen Online-Angeboten helfen sie und ihre Kollegen den Eltern dabei, die Ausgangssperre für ihre Kinder möglichst abwechslungsreich zu gestalten und so den Familienfrieden zu wahren. Denn sie weiß: Wenn die Eltern gestresst sind, dann überträgt sich das auf die Kinder. „Zeit, Liebe, Flexibilität und Unterstützung ist es, was die Kinder jetzt von uns brauchen“, sagt sie.

Toni, Tomeu und Sergi würden derweil trotzdem lieber in die Schule gehen. Den Jugendlichen ist langweilig, und so nutzen sie ihre Hunde als Alibi für einen kleinen Spaziergang durchs Dorf. Keinen Alibi-Hund braucht unterdessen Tomeu, der Postbote. Er dreht seine Runde und verteilt die Post wie immer. Und zur Abwechslung sind auch tatsächlich (fast) alle zu Hause, um ihre Pakete entgegenzunehmen.

(aus MM 12/2020)