Mehrere tödliche Unfälle haben sich auf der Flughafenautobahn von Palma de Mallorca Richtung Llucmajor auf Höhe der Ausfahrt 11 schon ereignet, 2012 kam so der 21-jährige Pascal H. ums Leben. | Patricia Lozano/privat

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Dieser Fall hat viele Mallorca-Fans auf der Insel und in Deutschland in Schock versetzt: Ein vermeintlicher tödlicher Unfall aus dem Oktober 2022, der ein Jahr später als Mordfall aufgeklärt worden ist. Dabei hatte ein 20-jähriger deutscher Urlauber auf der Flughafen-Autobahn zwischen Palma de Mallorca und Llucmajor sein Leben verloren. Die Polizei konnte den Fall als Tötungsdelikt aufklären und zwei Verdächtige festnehmen. Zahlreiche Medien auf Mallorca und auch in Deutschland hatten darüber berichtet. Kurz nach dieser Berichterstattung erreicht die MM-Redaktion eine E-Mail von einer Leserin aus Deutschland.

Genau das Gleiche ist meinem Bruder 2012 auf Mallorca passiert”, schreibt Vanessa M. und bittet um Hilfe. Pascal H., 21 Jahre alt, starb damals auf demselben Abschnitt der Autobahn durch einen Verkehrsunfall. Er sei alkoholisiert sowie desorientiert gewesen und habe sein Hotel gesucht, dabei sei er auf die Autobahn geraten und von einem Auto erfasst worden. Bis heute zweifelt die Familie an dieser Version der Behörden.

MM hat mit der Mutter des Opfers gesprochen, der 66-jährigen Christiane H., die zwischen Hannover und Celle lebt. Für die Familie sind noch immer viele Fragen unbeantwortet, zum Beispiel, warum der Sohn von der Partymeile Ballermann in Richtung Autobahn gelaufen war. „Es hat einfach keinen Grund gegeben, zur Autobahn zu laufen. Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, was damals passiert ist”, sagt die Mutter. „Das waren keine Jungs, die sich einfach nur zuschütten”, betont sie bezogen auf ihren Sohn und seine Freunde und ergänzt: „Der Tathergang war damals schon unklar für uns. Eigentlich konnte uns die Polizei nichts sagen.” Sie geht sogar noch weiter und meint: „Von Anfang an war das für mich Mord.”

So soll sich das Unglück nach MM-Recherchen vor elf Jahren zugetragen haben: Am 21. April 2012 kommt Pascal H. am Morgen mit drei Freunden auf Mallorca an. Denn bevor sie alle zum Studieren getrennte Wege gehen, wollen sie noch einmal zusammen feiern. Einer von ihnen ist Julian, der zu den engsten Freunden des Todesopfers gehört. „Wir waren gut drauf und hatten eine gute Zeit”, erzählt er am Telefon. Am Nachmittag gehen die Jungs zuerst in den Megapark, anschließend, am Abend, ins Oberbayern. „Einer von uns hatte in der Disko etwas verloren. So kam es, dass wir uns trennten und unterschiedliche Ausgänge nahmen. Ich weiß noch, wie ich zu Pascal sagte: ‚Wir sehen uns dann gleich draußen’.”

Am Ausgang kommt Pascal jedoch nie an. Zu diesem Zeitpunkt muss es 23.10 Uhr gewesen sein. Er ist wie vom Erdboden verschluckt. Die anderen drei Freunde suchen das nahe Umfeld ab, laufen „die Promenade hoch und runter”, so beschreibt es Julian. Dann gehen sie zurück ins Hotel, in der Hoffnung, den vermissten Freund dort anzutreffen. Keine Spur von ihm. Stattdessen tauchen kurze Zeit später Polizeibeamte in der Hotellobby auf. Ein Toter wurde auf der Autobahn gefunden, heißt es. Er trägt das All-inklusive-Bändchen des Hotels. „Wir wollten nicht wahrhaben, dass es Pascal ist.” Einer der drei Freunde begleitet die Beamten und muss die Leiche identifizieren. Der Tote ist Pascal H.

Pascal H. (2.v.r.) kam im April 2012 auf der Ma-19 ums Leben. Laut Guardia Civil soll es ein Unfall gewesen sein, seine Familie bezweifelt bis heute das. Das Foto ist am Abend des Unglücks am Ballermann entstanden. Foto: privat

Damals ist die These der Guardia Civil, Pascal habe das Hotel gesucht und sich dabei verlaufen. Das Hotel Pabisa Sofía liegt in der dritten Meereslinie der Playa de Palma, unweit vom Ballermann 6. Zwischen dem Oberbayern und dem Tatort auf der Ma-19 liegen ungefähr eine knappe halbe Stunde Fußweg. Als Unfallzeitpunkt gibt die Guardia Civil zirka 23.30 Uhr an.

Julian hält inne und sagt vorsichtig: „Es hat einfach alles keinen Sinn ergeben. Dass Pascal einfach weg war und Richtung Autobahn gelaufen ist. Für uns war es eigentlich offensichtlich, dass etwas passiert sein muss.” Auch der heute 31-jährige Julian hat vor kurzem aus den Medien von dem jetzt als mutmaßliches Tötungsdelikt aufgeklärten Fall von 2022 erfahren, der in Deutschland durch die Presse ging. „Was ich daran sehr interessant fand, ist, dass auch der Unfall von Pascal an einer ganz ähnlichen Stelle passiert ist”, so Julian.

Ein Blick ins Nachrichtenarchiv (siehe untenstehende Chronik) zeigt, dass es an der besagten Stelle der Flughafen-Autobahn mehrfach tödliche Unfälle gegeben hat. Im Jahr 2015 hatte es Pläne gegeben, die Ausfahrt 11 mit Straßenlaternen auszuleuchten, geschehen ist bisher nichts.

Für Recherchezwecke stellt Pascals Familie MM den Obduktions- und Unfallbericht zur Verfügung. Auffällig ist, dass sich die Berichte teilweise widersprechen. Etwa beim Todeszeitpunkt: Während die Gerichtsmedizin nach der Autopsie zu dem Ergebnis kommt, Pascal sei in den frühen Morgenstunden des 22. April gestorben, geht die Guardia Civil vom 21. April um kurz vor Mitternacht aus. Mal trägt die Leiche eine graue Jacke, dann ist es wieder ein T-Shirt. Obwohl die Autofahrerin Pascal H. in dieser Nacht mit ihrem Fahrzeug auf der Autobahn in Fahrtrichtung Llucmajor erfasste, ist in dem Unfallbericht an einer Stelle von der entgegengesetzten Fahrtrichtung die Rede.

Der Anwalt der Familie in Deutschland, der 2012 mit dem Fall betreut gewesen war, äußert sich kritisch gegenüber MM. Björn Stute sagt: „Es gab damals sehr viele Ungereimtheiten.” Wie etwa, dass zwischen dem Verschwinden von Pascal und dem Unfall nur eine knappe halbe Stunde gelegen haben soll. Und in seinen Augen war die Obduktion lückenhaft: „Angesichts der Umstände seines Verschwindens wären meines Erachtens weitere polizeiliche Ermittlungen und im Zuge dessen auch eine komplette Obduktion dringend angezeigt gewesen.”

Doch die Leiche wurde damals nicht vollständig auf Spuren von Gewalt untersucht, so der Anwalt. „Da man die Möglichkeit eines vorangegangenen Gewaltdelikts seitens der Polizei vorschnell ausgeschlossen hatte, wurde die Leiche lediglich im Hinblick auf die unmittelbaren Verletzungen durch den Unfall untersucht.” Björn Stute bemängelt die mangelhafte Autopsie. Denn zum Beispiel werden über die Schuhe von Pascal gar keine Aussagen getroffen. Oder ist er barfuß gewesen? Auch die Antwort auf die Frage, ob die Leiche auf Alkohol überprüft worden ist, bleibt offen. Drogen konnten nicht nachgewiesen werden.

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Bis heute hinterfragt der Anwalt der Familie die damalige Theorie der Guardia Civil, Pascal habe das Hotel gesucht und sich dabei verlaufen. Er sei desorientiert und betrunken gewesen. „Diese Ansicht findet allerdings in den Schilderungen seiner Freunde keinerlei Stütze und erscheint auch angesichts der geschilderten Umstände und des sehr engen Zeitfensters zwischen seinem Verschwinden und dem Unfall mehr als unwahrscheinlich.” Derzeit läuft eine MM-Anfrage bei der Guardia Civil. Eine Antwort steht aktuell noch aus.

Die Mutter des Opfers ergänzt: „Pascal muss völlig von der Rolle gewesen sein, denn er stand mit erhobenen Armen auf der Autobahn.” Ein Blick der MM-Redaktion in den Unfallbericht der Guardia Civil bestätigt dies: Die Fahrerin des Unfallwagens hatte eine entsprechende Aussage gemacht. Doch die Frage nach dem Warum blieb und bleibt unbeantwortet. Auch der Anwalt der Familie sagt: „Wie Pascal dort innerhalb so kurzer Zeit hingelangt war und aus welchem Grunde er sich auf der Autobahn aufhielt, wurde nie aufgeklärt.”

Der Schmerz, ein Familienmitglied verloren zu haben, dauert bei Familie H. bis heute an. „Ich wache mit ihm auf und gehe mit ins ihm ins Bett”, erzählt die Mutter mit schwacher Stimme. Ihre Tochter ist nur ein knappes Jahr jünger als der verstorbene Pascal. „Die beiden waren eine Einheit, sie sind zusammen groß geworden.” Heute ist Vanessa M. 31 Jahre alt. Sie hofft, dass die Behörden sich noch einmal des Falls annehmen. „Meinen Bruder bringt es nicht zurück und der Schmerz um Pascal wird ein Leben lang bleiben. Aber vielleicht bleiben andere verschont, weil sie vorsichtiger sind.“

Und noch ein weiterer Fall

Im Falle der mysteriösen Autobahnunfälle hat sich eine weitere betroffene Familie aus Deutschland gemeldet. Allerdings nicht bei uns, sondern bei der Mallorca Zeitung. Aufgrund des besonderen Interesses an Aufklärung verlinken wir an dieser Stelle auf den Bericht der Kollegen.

Kontaktieren Sie uns!

Haben Sie Hinweise oder Informationen zu einem der weiteren Fälle, die sich auf Mallorca ereignet haben? (Siehe dazu auch die folgende Chronik). Schreiben Sie uns gerne eine Mail an red@mallorcamagazin.net, wir gehen den Hinweisen nach.

Chronik der tödlichen Unfälle auf dieser Autobahn

Freitag, 3. September 2010, in der Nacht:
Ein Deutscher wird auf der Autobahn Palma-Llucmajor bei S’Arenal überfahren

Samstag, 21. April 2012, ca. 23.30 Uhr:
Pascal, 21 Jahre alt, stirbt zwischen den Ausfahrten 11 und 12

Freitag, 27. September 2013, in der Nacht:
Ein 53 Jahre alter Deutscher wird auf der Ma-19 bei S’Arenal überfahren

Samstag, 29. Juni 2013, ca. 3.30 Uhr:
Ein 23-jähriger Deutscher wird bei Kilometer 11 von mehreren Autos erfasst

Freitag, 9. Oktober 2015, ca. 1.15 Uhr:
Ein 23-jähriger Deutscher stirbt zwischen den Kilometern 11 und 12

Samstag, 8. Oktober 2022, ca. 22.30 Uhr:
Ein 20 Jahre alter Deutscher stirbt am Kilometer 10,2 der Ma-19