Der Bahnhof befindet sich kilometerweit vor dem Ort. | Ultima Hora

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Der Fortschritt ist schon eine praktische Erfindung, wenn man nicht von ihm, und das im wahrsten Sinne des Wortes, einfach links liegen gelassen wird. So geschehen anno 1875 in dem kleinen, kultigen Tramuntana-Dorf Alaró auf Mallorca. Dort, oder besser rund dreieinhalb Kilometer rechts davon, hatte man damals die Gleise für die noch heute bestehende Zugverbindung zwischen der Inselhauptstadt und Inca verlegt. Zum Ärger der Alaroneras und Alaroner, die alles andere als verzückt von der Aussicht waren, von nun an die Strecke zum Bahnhof per pedes zurücklegen zu dürfen.

Drei befreundete wohlhabende Unternehmer aus dem Dorf kamen 1880 schließlich auf die Idee, eine eigene, örtliche Eisenbahngesellschaft zu gründen. Ziel war es, Alaró mit einer eigenen Gleisspur an die Bahnlinie Palma-Inca anzuschließen, ein gerissener wie gleichwohl ehrgeiziger Plan, der allerdings seine Macken hatte. So schaffte es das Unternehmen zwar innerhalb von zwei Jahren, eine insgesamt 3,4 Kilometer lange Schmalspur-Gleisanlage vom Bahnhof des Nachbarortes Consell nach Alaró zu bauen, besaß anschließend jedoch keine finanziellen Mittel mehr für den Kauf einer Lokomotive. Oder anders gesagt: Die Eisenbahngesellschaft ging pleite, bevor sie überhaupt auf die Schienen kam.

Doch wer wird deswegen gleich das Handtuch werfen? Findige Einwohner spannten vor dem einzig gebauten Waggon einfach zwei Maultiere, die das Gefährt auf den Schmalspur-Gleisen vom Bahnhof zum höher gelegenen Dorf zogen. Die Fahrtdauer betrug rund 15 Minuten, und es ging mitunter sogar recht komfortabel zu. So bot die Alaró-Bahn ihren Passagieren eine erste und eine zweite Klasse. Bei letzterer handelte es sich um das Waggon-Dach, auf dem die Reisenden auf Holzbänken saßen und durch eine Art Brüstung davon abgehalten wurden, herunterzufallen, wenn die Gäule an einem heißen Sommertag durchgingen. Im kühlen Inneren des Waggons durften es sich die feineren Herrschaften bequem machen.

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Für den Weg zurück zum Bahnhof wurde das Gespann abgehängt, und der Waggon rollte wieder zum hinunter, wobei der „Zugführer” immer wieder eine Bremse betätigte, um nicht zu entgleisen. 1922 wurden die Pferde durch Dampflokomotiven ersetzt, die den Weg von und zum Bahnhof allerdings in derselben Zeit zurücklegten. 1951 wurde die Verbindung aus Kostengründen schließlich eingestellt. Zurück blieben die Schmalspur-Gleise, die mit der Zeit mit Unkraut zuwucherten und in Vergessenheit gerieten.

Bis zum Jahr 2014. Da riefen verärgerte Alaró-Einwohner eine Bürgerinitiative unter dem Motto „Volem Via verda” (Wir wollen einen grünen Weg) ins Leben. Grund war erneut der immer noch über drei Kilometer entfernte Bahnhof, zu dem es keinen Fußgänger- und Fahrradweg gab. Stattdessen mussten die Einwohner aus Alaró mit täglich zwischen dem Bahnhof und dem Dorf pendelnden Shuttle-Bussen fahren, um anschließend mit dem Zug beispielsweise nach Palma oder Inca zu gelangen. Zu Fuß oder mit dem Fahrrad die Kilometer lange Strecke zurückzulegen, war insbesondere nach Sonnenuntergang aufgrund des fehlenden Bürgersteiges sowie der mangelnden Straßenbeleuchtung zum Teil lebensgefährlich.

Der von der Initiative vorgeschlagene „grüne Weg” zum Bahnhof sollte entlang der seit etlichen Jahrzehnten stillgelegten Schmalspurtrasse verlaufen Doch der Plan wurde vom Inselrat aufgrund der damit verbundenen hohen Baukosten abgeschmettert, vor wenigen Wochen erklärte ein beauftragtes Bauunternehmen, dass das für das Projekt von der Institution bewilligte Budget bei weitem nicht dafür ausreiche.

Jetzt scheint man eine Alternative gefunden zu haben: Nach Ankündigung aus dem Inselrat soll der geforderte Fußgänger- und Radweg direkt an der Landstraße verlaufen, die Consell mit Alaró verbindet. Stromsparende Led-Lampen sollen den Weg auch nach Sonnenuntergang ausreichend beleuchten, der Wegesrand soll begrünt werden. Die Arbeiten sollen bis Ende des Jahres fertiggestellt sein. Ob das die Gemüter in Alaró beruhigen wird, bleibt allerdings abzuwarten.