Mit seiner Frau Beatrice Bruckner lebte Albert Vigoleis Thelen von 1931 bis 1936 auf Mallorca. | Archiv Ultima Hora

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Erst jüngst sind wieder Tausende an seiner Gedenktafel in Palma vorbeigelaufen, während der Nacht der Kunst am vergangenen Samstag, im Herzen der Altstadt westlich des Borne, wo einst einfache Handwerker und Palmesaner Großfamilien zu Hause waren. Im heutigen, neuralgischen Zentrum diverser Kunstgalerien herrschte darum ein reges Kommen und Gehen quirliger Besucher vor, Kulturfans und Freunde des abendlichen Events der Nit de l’Art. Auf die steinerne Tafel, die dort am Kreuzungspunkt der Gassen Sant Feliu, Pau und Vi seit 2005 an einer Hauswand prangt, warfen jedoch die wenigsten einen Blick. Dabei hätten sie dort in gleich drei Sprachen lesen können, dass unweit jener Stelle einst der deutsche Exilschriftsteller Albert Vigoleis Thelen in einem der Altstadthäuser seine Bleibe hatte.

Thelen, der an diesem 28. September vor exakt 120 Jahren in Viersen am Niederrhein geboren wurde, war im Alter von 27 Jahren mit seiner Beatrice Bruckner nach Mallorca gelangt. Eigentlich wollte man nur den Bruder seiner Schweizer Verlobten besuchten, der sich in Palma in einer privaten Notlage befand. Doch aus dem Besuch, der im August 1931 begann, wurden aufgrund diverser Verwicklung Jahre, bis schließlich der Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges im Sommer 1936 das Paar als Flüchtlinge von der Insel zur Abreise zwang.

Die Gedenktafel zu Albert Vigoleis Thelen in Palma, aufgenommen während der Kunstnacht "Nit de l’Art" am 22. September 2023, die viele Besucher in die Gassen der Stadt lockte.
Die Gedenktafel zu Albert Vigoleis Thelen in Palma, aufgenommen während der Kunstnacht "Nit de l’Art" am 22. September 2023, die viele Besucher in die Gassen der Stadt lockte. Foto: as

Thelen, der auf Mallorca als Übersetzer und als angehender Schriftsteller lebte, wurde zum Zeitzeugen der Umbrüche, wie sie sich in jenen Jahren sowohl in der mallorquinischen Gesellschaft als auch in der deutschen Gemeinschaft auf dem Eiland zutrugen. Denn jene deutsche „Community” bestand schon damals –- und ganz ähnlich wie heute – aus einer Vielzahl von Menschen, die dort als Touristen,. Langzeiturlauber, Aussteiger, Pensionisten und/oder berufstätige Residenten auf der Insel lebten. Es gab unter ihnen, parallel zur Gesellschaft in der Endphase der Weimar Republik, Konservative, Sozialdemokraten und Apolitische sowie Hitleranhänger und Hitlergegner. Letztere nahmen zahlenmäßig im Laufe der Jahre durch den Zuzug von jüdischen Emigranten aus Deutschland zu.

Thelen, der selbst ein bekennender Nazigegner war, erlebte auf Mallorca die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler im Januar 1933 und beschreibt in seinem epochalen Roman „Die Insel des zweiten Gesichts” den Wandel, die Zerwürfnisse und die Not der Exilanten unter der mediterranen Sonne. Kein Geringerer als Thomas Mann zählte das knapp 1000 Seiten starke Werk später zu einem der drei größten Bücher seines Jahrhunderts.

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Im heimatlichen Viersen Thelens findet anlässlich des anstehenden Jubiläums an diesem Donnerstagabend eine Gedenkveranstaltung statt. Hauptredner ist der Thelen-Experte Herbert Pauen, der als junger Mann noch den Schriftsteller in dessen Seniorenheim interviewen konnte. Für Pauen ist Thelen „politisch aktueller denn je”. Sein Roman beschreibe das Aufkommen rechtspopulistischer Strömungen und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft. Parallelen, die auch heute in Deutschland zu beobachten seien. „Manche Nachrichten in diesen Tagen beunruhigen und werfen Fragen auf: Haben wir wirklich den Anfängen gewehrt?”, so Pauen.

Der Thelen-Forscher war seinerzeit auch auf Mallorca, als die Gedenktafel angebracht worden war. Bald darauf, so Pauen, habe sie einem Gewaltanschlag widerstehen müssen. Wer einen Blick auf die Marmorplatte wirft, sieht, dass ein Riss quer durch den deutschen Text verläuft. Auch haben die Buchstaben im Gegensatz zu den anderen auf Spanisch und Katalanisch an Schwärze verloren, so als ob der deutsche Absatz mit einer bleichenden Chemikalie behandelt worden wäre.

Unterdessen wurde zum Thelen-Jubiläum auch bekannt, dass Tausende seiner Original-Briefe nun ihren Platz im Literaturmuseum von Bern gefunden haben. Lange Zeit war für ihre Aufbewahrung das deutsche Literaturarchiv in Marbach im Gespräch gewesen. Marbach konnte indes die Eigentümer der Schriften, zwei ebenfalls passionierte Thelen-Experten und Sammler, finanziell nicht zufriedenstellen. So kam Bern zum Zuge. Angesichts der Tatsache, dass Thelens Lebenspartnerin und spätere Ehefrau aus Basel stammte, und Thelen den Herbst seines Lebens ebenfalls in der Schweiz verbracht hatte, ist das Interesse des Berner Literaturarchivs an seinem Gesamtwerk durchaus nachvollziehbar.

Es war übrigens auch Beatrice Bruckner, die nach dem Tod Thelens am 9. April 1989 – dessen Vermächtnis einlösend – seinen gesamten literarischen Nachlass vernichtete. Darunter befanden sich – so Thelen-Forscher Pauen – wohl auch die zirka 900 Typoskriptseiten der Insel-Fortsetzung „Die Gottlosigkeit Gottes oder das Gesicht der zweiten Insel”. Man stelle sich vor: Ein zweiter Teil des einstigen Best- und Longsellers! Der Welt ist ein großes Werk verloren gegangen.