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Ludwig der Größte.« Unter diesem Motto wurde das Genie aus Bonn im Beethovenjahr 2020 weltweit gefeiert. Man huldigte ihm allenthalben unter der Prämisse, dass der Komponist nie so beliebt war wie heute. Während es klassische Musik in unseren Tage schwer habe, weil sie als sperrig und kompliziert gelte, treffe das auf Beethoven überhaupt nicht zu. Aber was sagt das? Missverständnisse sind bei solchen Einschätzungen nicht selten.

Missverständnisse, was die Rezeption der Musik angeht, außermusikalische Attribute, die einem Komponisten den Stempel des Außergewöhnlichen aufdrücken, des Außerordentlichen, des Magischen und damit Faszinierenden. Gleichzeitig leisten diese Missverständnisse allen möglichen Arten der Vereinnahmung Vorschub, und die wiederum generiert eine Popularität jenseits des rational Erklärbaren. Und schließlich ist das „Freude, schöner Götterfunken« Europahymne. Und es ist – als einziges Musikstück – zum Weltkulturerbe erklärt worden. Da klingt schon so etwas wie religiöse Verehrung an! Entsprechend hoch gespannt sind die Erwartungen des Publikums an eine Aufführung. – Gestern Abend tat man allerdings gut daran, diese Erwartungen etwas herabzustimmen: Daniel Mulet, geboren 1985 in Barcelona und laut Programmzettel zusammen mit dem Orquesta Sinfonica Europea artist in residence im Auditorium von Palma, bringt es bei YouTube in sechs Jahren gerade mal auf 41 Klicks (erster Satz von Beethovens 7. Sinfonie). Das allein will indes noch nichts heißen, sein Dirigat wirkt handwerklich durchaus solide. Diesen Eindruck hinterließ er auch beim gestrigen Konzert. Indes: handwerkliches Können allein erzeugt eben noch keine magischen Momente: die hohlen Quinten über der flirrenden Streicher-Grundierung zu Beginn des ersten Satzes entbehrten der Aura des Geheimnisvollen, ohne die diese Musik ihre magische Kraft nicht entfalten kann. Zudem patzten die Hörner bereits beim ersten Ton mit einem unsauberen Einsatz. Den hätte man ihnen verziehen, wenn sich die Intonationsprobleme nicht durch den ganzen Abend gezogen hätten. –Beethovens Orchestrierung ist nicht ganz unproblematisch, und es ist schwierig, ein ausgewogenes, rundes Klangbild oder gar sonore Schönheit zu erreichen. Und so krankte die Aufführung vor allem daran, dass Mulet es nicht schaffte, die einzelnen Stimmen in ein geschmeidiges, großes Ganzes zu integrieren. Auch die Unisono-Passage der Streicher im Trio des zweiten Satzes, die, zum Beispiel in der Karajan-Aufnahme von 1962, in geradezu wollüstiger Schönheit daherkommt, wirkte roh und sperrig. Diese Rohheit zeigte sich im weiteren Verlauf vor allem bei den Pauken. Man fragte sich, welcher Teufel den Dirigenten geritten hat, dass er den Schlagzeugern ein derartiges Eigenleben gestattete, und sie – um im Bild zu bleiben – wie der Gottseibeiuns auf die Felle ihrer Instrumente (und die Trommelfelle des Publikums!) eindreschen ließ. Wenn dann am Schluss des Finales noch das Becken dazu kam, fühlte man sich peinlich an eine Janitscharen-Kapelle erinnert.

Uneingeschränktes Lob verdient der Chor Orfeó Balear. Diese Chorvereinigung gilt derzeit mit 100 Sängerinnen und Sängern als eine der größten in Spanien und meisterte ihren Part im Götterfunken-Finale mit Bravour. Von den vier Solisten bestach vor allem der helle, jugendliche Sopran von Marta Bauzà, der mit dem Mezzo von Begoña Gómez harmonisch amalgamierte. – Trotz des insgesamt zwiespältigen Eindruck war der Applaus im ausverkauften Auditorium heftig und herzlich.